Nie angekommen zu sein, sich irgendwie immer, selbst im eigenen Leben fremd zu fühlen, zu spüren, dass etwas nicht stimmt, noch nicht angekommen zu sein, das ist ein Gefühl, das viele Menschen kennen, du vielleicht auch. Man versucht einiges, um endlich das Gefühl zu bekommen, richtig zu sein, sich im Leben zu beheimaten. Manche machen sich tatsächlich auf den Weg und meinen, durch eine lange Reise, durch Auswanderung oder durch den Aufenthalt in einem Tempel oder Kloster sich selbst endlich zu begegnen und zu finden. Doch so einfach ist das nicht.
Hochsensible Menschen
Wie aber kommt es, dass man sich so fremd im Leben fühlt, und da gibt es zahlreiche Möglichkeiten, was dieses Gefühl, nicht beheimatet zu sein, auslösen und verursachen kann. So geht es zum Beispiel hochsensiblen Menschen so, und sie stehen für die vielen Menschen, die irgendwie anders sind, die anders ticken. Hochsensible sind ja Menschen, die eingehende Informationen über die Sinne in einem viel höheren Maße verarbeiten als andere Menschen. Dadurch kommt es schnell zu einer Überlastung. Man braucht mehr Pausen, meidet größere Menschenansammlungen und findet starke parallele Sinneseindrücke unerträglich. Es gibt daneben natürlich auch Eigenschaften, die sehr wertvoll sind - Hochsensibilität ist ja keine Störung, es ist der Ausdruck der Andersartigkeit und steht hier für die vielen anderen Möglichkeiten, anders als diejenigen zu sein, mit denen man zusammenlebt.
Schon als Kind bekommen Hochsensible mit, dass sie einfach nicht so sind wie die anderen, ohne es verstehen zu können. Und die Eltern und die Umgebung verstehen es auch nicht. Alle merken den Unterschied, können es aber nicht einordnen. Und weil man irgendwie damit umgehen muss, wird mit Druck gearbeitet, mit Unverständnis reagiert oder es wird belächelt. Und das hochsensible Kind erfährt immer wieder - zum Teil defizitär - wie anders es ist. Solche Kinder leben nicht wie der Fisch im Wasser, sondern meinen zu erkennen, dass mit ihnen etwas nicht stimmt. Diese ganze Situation ist dann die Geburtsstunde dafür, sich fremd in dieser Welt und im eigenen Leben zu fühlen. Man darf eben nicht so sein, wie man ist, und man schafft es nicht, sich so anzupassen, dass man so ist, wie die anderen es wollen. Es fehlt das Gefühl dazu zu gehören, gleicher Teil einer Gemeinschaft zu sein. Immer bleibt ein Rest, der nicht Teil der Familie ist und dem mit Unverständnis begegnet wird. Die Kinder - und wahrlich nicht nur Kinder, es gibt so viele Erwachsene, die nicht wissen, dass sie hochsensibel sind - verstehen sich selbst nicht, sie können nicht einordnen, dass ihnen etwas schwer fällt, was für andere eine Leichtigkeit ist. Ein Beginn der Karriere eines Selbstzweiflers kann daraus entstehen.
Hochbegabte, Hochspirituelle
Ich hatte ja schon mehrfach gesagt, dass die Hochsensiblen hier stellvertretend für andere stehen. Denn dasselbe kann auch hochbegabten Menschen und Kindern sowie hochspirituellen Menschen ergehen. Das ist übrigens ein Thema, das bisher noch gar nicht bearbeitet und bedacht worden ist, nämlich, wie es Hochspirituellen in dieser Welt geht und was sie für sich tun können, um sich selbst zu unterstützen. Vielleicht gehörst du dazu? Ich möchte nämlich zu diesem Thema noch mehr Videos erstellen.
Bist du schon angekommen?
Gehen wir aber weiter und schauen, woran es noch liegen kann, dass du dich fremd im Leben und in dieser Welt fühlst. Vielleicht bist du ja noch gar nicht bei dir angekommen hier in dieser Welt, in deinem Leben. Es gibt sehr viele Menschen, die gar nicht gelernt haben, sich selbst zu spüren. Das ist eine der ganz grundlegenden Fähigkeiten, nicht nur für die Spiritualität, sondern für das Menschsein überhaupt. Wie will ich denn sonst herauskriegen, was ich wirklich will und was nicht? Das kann ich nur spüren, im Körper spüren, und dafür braucht es die Fähigkeit des Selbstgefühls. Ich spüre, was stimmig ist, ich spüre, wo ich Abstand nehmen möchte, und ich spüre, was mich anzieht, wie ich spüre, was mich abstößt. Das alles kann ich nur im Körper spüren und wenn ich das nicht gelernt habe oder ich müsste sagen, wenn ich das als Kind verlernt habe, dann habe ich keine inneren Koordinaten. Ich muss mir das alles durch Gedankenkraft vorstellen und herausfinden. Das ist nicht nur anstrengend, sondern hat oft wenig mit dem zu tun, was du wirklich willst. Ein Grund dafür kann sein, nie einen Zugang zum Inneren im Leben kultiviert zu haben. Man weiß zwar, dass man denkt und nachts träumt. Doch diese inneren Prozesse als Teil meines Lebens zu nehmen, zu gestalten und für mich zu nutzen, das haben viele nicht gelernt. Das kann wiederum geschehen, wenn ich vor allem außengesteuert bin. Ich mache mich abhängig von den Meinungen anderer, von dem, was die Familie, die Gruppe oder in jungen Jahren die Clique will. Die Grundannahme ist die, wenn ich tue, was die anderen tun, dann gehöre ich dazu und mir geht es gut. Gewiss ist es gut, zu einer Gruppe zu gehören, aber wenn ich auf Kosten meiner eigenen Wünsche lebe, dann entfremde ich mich von mir selbst. Aber es gibt auch eine innere Entfremdung. Denn und das trifft auf fast alle Menschen zu, wir sind meistens mit Fragmenten von uns verbunden. Wir meinen zwar, wir wären immer die gleichen, egal, ob wir Angst haben, uns freuen, zum Mittagessen gehen, arbeiten oder abends Sport machen. Wir meinen, dass das immer die gleiche Person ist, die das macht. Äußerlich betrachtet mag das auch stimmen, aber innerlich ist dem gar nicht so. Wir wechseln in verschiedene Ich-Zustände, die sehr unterschiedlich sein können. Zu meinen, zwischen diesen Zuständen gäbe es etwas, das immer gleich ist, das ist tatsächlich eine Illusion. Das Ziel sollte es ja sein, sich nicht mit Fragmenten zu identifizieren. Sie haben ein Eigenleben und handeln einerseits in unserem Sinne, sind aber meistens in alten Strukturen und sogar in einem sehr frühen Alter stehen geblieben. Sie agieren noch, als wäre ich 5 oder 7 Jahre alt. Und so wirkt dann auch mein Handeln auf andere.
Es gibt aber einen Bereich oder einen Zustand, den wir erreichen können, wo wir uns mit keinem Fragment identifiziert haben. Von hier aus können wir alles betrachten und können dabei eine große Freiheit und Ganzheit spüren.
Und immer wieder Trauma
Gehen wir jetzt aber einen Schritt weiter. Denn es gibt noch mehr Gründe, warum du dich fremd im Leben fühlen kannst. Denn natürlich ist auch bei diesem Thema die Möglichkeit einer Traumatisierung unbedingt zu nennen. Es ist ja das Wesen des Traumas bzw. der inneren Reaktion darauf, sich zu schützen und Fragmente zu bilden. In einem extremen Fall gibt es innere Anteile, die völlig voneinander getrennt sind. Das Gefühl der Ganzheit geht völlig verloren. Das ist eine Schutzmaßnahme, die helfen soll, das Innerste nicht auszuliefern und zu verstecken. Früher nannte man das eine gespaltene Persönlichkeit, heute spricht man mehr von dissoziativer Störung. Dissoziativ ist das Gegenteil von assoziativ. Assoziativ heißt verbunden sein und dissoziativ entsprechend zu trennen. Ein Trauma führt uns also in der Regel raus aus der Ganzheit und hinein in eine innere Fragmentierung. Und es muss dabei nicht einmal eine klassische Störung sein. Auch Mini-Traumata können kleine Formen von innerer Trennung hervorrufen. Und so werde ich mir selber immer fremder, kann mich selbst nicht mehr als Ganzheit erfassen. Ich verstehe mich selbst oft nicht, warum ich mal so und dann mal wieder so bin. Ich werde mir fremd - verliere meine Heimat im eigenen Leben.
Schon gelandet in dieser Welt?
Es gibt noch einen Grund, warum du dich in dieser Welt fremd fühlen kannst, und das liegt vielleicht daran, dass du nie ganz gelandet bist oder diese Welt insgeheim ablehnst. Ja, diese Welt ist oft chaotisch, voller Gewalt, Hässlichkeit und Ungerechtigkeit. Sie kümmert sich oft wenig um die wirklich wichtigen Dinge. Daher ist es eine Versuchung bei spirituellen Menschen einen Gegensatz zwischen Gott und Welt, zwischen Licht und Dunkelheit zu sehen und zu betonen. Diese Art von Dualismus ist jedoch gefährlich. Es wertet diese Welt ab und führt zu einem abgespaltenen Gott. Die Welt ist nämlich nicht nur hässlich, gewaltvoll und was auch immer, sie ist immer und zugleich schön, voller Heldentum, Mitgefühl und Hingabe. Und gerade in schweren Zeiten zeigt sich das oft - wenn auch nicht in den Schlagzeilen dieser Welt - auch nicht immer in denen der Kirchen.
Dein Weg: Spüre dich selbst!
Nun lass uns aber einmal gemeinsam überlegen, was man tun kann. Es geht um einfache Schritte, denn bei Traumatisierungen braucht es gewiss professionelle Unterstützung, und in vielen anderen Fällen zumindest eine intensivere Begleitung und Anleitung. Dennoch gibt es Themen und Bereiche, die du angehen kannst, wenn du dich in deinem Leben und in dieser Welt beheimaten möchtest. Einiges hatte ich ja schon angesprochen. Fangen wir mit dem Einfachsten an. Dabei geht es darum, sich selbst zu spüren zu lernen. Du kannst es ganz einfach halten und dich im Laufe des Tages immer wieder fragen, wie es dir jetzt geht. Wichtig ist, dass du nicht beginnst darüber nachzudenken, sondern in deinen Körper hinein zu spüren. Dort und nur dort findest du die Antwort. Du kannst das morgens beim Anziehen machen, was du anziehen willst, und dann nicht ins Nachdenken und Überlegen gehen, sondern zunächst einmal nur nachspüren, was du fühlst, was heute für dich stimmig ist. So kannst du es in der Kantine, beim Einkaufen kurz, überall dort machen, wo eine einfache Entscheidung ansteht. Wenn du das eine Zeit lang gemacht hast, dann kannst du dadurch dein Selbstgespür deutlich verbessern und früher wahrnehmen, was du willst und was nicht.
Dein Weg: Hör auf dich zu identifizieren!
Eine andere Möglichkeit, ganz in deinem Leben anzukommen und damit in dieser Welt, ist es, zu dir selbst zu finden. Dazu gehört natürlich auch das gerade beschriebene Selbstgefühl oder -gespür. Aber es gehört auch dazu alle Identifikationen aufzulösen, die mit Teilen von dir und die du mit dieser Welt hast. Denn, und das ist das Eigenartige, wenn du wieder erkennst, was du alles nicht bist, wirst du nicht nur erkennen, wer du bist, du wirst auch allem, was du nicht bist, viel mehr Mitgefühl entgegenbringen, weil du dich weniger schützen musst. Oft schützen wir uns, weil die Grenzen nicht da sind oder unnatürlich verlaufen. Wenn du aber wieder klar hast: all das, all deine Gedanken und Gefühle, hast du zwar, aber du bestehst nicht aus ihnen, du bist nicht Gefühl - keines der Gefühle - und du bist keine deiner Gedanken. Und wenn du erkennst, dass du nicht identisch bist mit irgendeinem Menschen auf dieser Welt - und glaube mir, insgeheim haben wir diese Grenze verschoben und kennen den Unterschied nicht - dann bist du freier denn je und für dich ganz da und kannst zugleich dieser Welt mehr geben als vorher. Du kehrst in die besondere Qualität des Mitgefühls und Klarheit ein. Dein innerer Zustand ist nicht mehr auf Enge, Angst und Sorge aus, sondern auf Weite und Dankbarkeit und Hingabe. Dieser Zustand ist es, um den es nicht nur Jesus ging, sondern allen anderen großen spirituellen Menschen.
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