Die Sündenfalle: Ein Teufelskreis, den wir durchbrechen müssen

23. Dezember 2023

Es gibt Worte, die man für mehrere Jahrzehnte oder sogar Jahrhunderte nicht mehr gebrauchen sollte; man sollte sie einfach auf den Speicher legen und vergessen.

Eines der Wörter, das ich dort gerne hinlegen würde, ist das Wort "Sünde" in seinen verschiedenen Formen: Sünder, sündigen, sündig. In der Alltagssprache spielt die Sünde nur noch eine Rolle, wenn wir mal wieder zu viel, zu süß oder zu alkohollastig gegessen und getrunken haben. Doch wer in einem christlichen Kontext großgeworden ist, kennt dieses Wort nur allzu gut.


Wir sind Sündeninfiziert

Zwar wird heute nur noch selten darüber gepredigt, so zumindest mein Eindruck. Doch all die klassischen Gebete, die man in Gottesdiensten hört, sind immer noch voll davon, selbst dann, wenn das Wort Sünde gar nicht vorkommt. Es ist wie eine Art von Infektion oder eine Färbung, die über die Jahrhunderte geschehen ist. Und viele von uns haben sich damit tatsächlich infiziert.

Diese Infektion sagt uns dann: "Du bist nicht in Ordnung". Ich behaupte jetzt mal: Das Reden von der Sünde hat noch keine Sünde verhindert, sondern eher dazu geführt, dass noch mehr gesündigt wurde.

Wenn ich von Sünde spreche, dann meine ich nicht, mal bei Rot über die Ampel gegangen zu sein. Natürlich ist das im engeren Sinne keine Sünde. Mir ist schon klar, dass es um viel grundlegendere Dinge geht. Aber dieses Wort zieht so viele Bedeutungen mit sich, dass man es kaum noch einfangen kann, so dass seine wirkliche Bedeutung kaum klar wird. Das ist einer der Gründe, warum ich dieses Wort nicht mag und gerne auf den Speicher bringen möchte.

Und dieses Wort und seine vielen Bedeutungen und Missbräuche sind nicht nur in unserem Kopf, es ist in unseren Körper eingezogen. Wie Traumatisierungen sich auch körperlich niederschlagen, so ist es auch mit Worten wie Sünde, Sünder; du findest es sogar in unserem Körperspeicher abgelegt.


Von der Sünde zum Ursegen

Deshalb die Frage: Wann beginnen wir endlich zu begreifen, dass am Anfang unseres Lebens nicht die Sünde steht, sondern der Segen? Wann beginnen wir zu verstehen, dass Sünde richtig verstanden sich nicht für Machtspiele und das Ausüben von Druck eignet? Denn dazu wurde es missbraucht, vor allem im Christentum, so dass ich denke, dass man sehr viel aufräumen müsste, damit das Christentum seine dunkle Seite nicht nur endlich erkennt, sondern anschließend daran arbeitet, ein wirkliches Licht in dieser Welt zu sein.

Aber lass uns mal gemeinsam nachdenken, was denn in uns passiert, wenn wir sehr oft mit dem Thema Sünde konfrontiert werden, wenn wir all die Bücher lesen, Predigten hören und Gebete beten, die immer wieder auf die Sünde fokussieren. Denn dieses Sünden-Gerede hat eine tiefe Wirkung auf uns, die genau entgegengesetzt verläuft.


Psychologie der Sünde

In unserer Psyche gibt es verschiedene innere Teile und Systeme. Es gibt zum Beispiel einen Teil in uns, auch in unserem Gehirn, der dafür zuständig ist, Unterschiede zu erkennen und Differenzen wahrzunehmen. Es geht darum, Fehler zu sehen und anschließend etwas zu verbessern. Das ist wichtig, dass wir Fehler erkennen, sonst machen wir immer den gleichen Fehler.

Aber mit diesem Teil in uns sind  zwei ganz wichtige Ereignisse verbunden. Wenn ich sehr auf Fehler achte und dafür sensibel bin, und das bin ich, wenn ich immer wieder über Sünde nachdenke und mir das zu Ohren kommt, dann komme ich automatisch in eine negative Stimmung. Und diese negative Stimmung fühlt sich nicht nur schlecht an, sie hat auch eine zweite Wirkung, die für uns wichtig ist. Sie sorgt dafür, dass wir den Zugang zu unserem innersten Raum verlieren, zu unserem göttlichen Ich oder zu unserem Christusbewusstsein.

Der innere Fehlersucher steht dem Teil in dir konträr gegenüber, den wir das innere Selbst nennen können. Gleichzeitig sorgt unser innerer Fehlersucher dafür, dass wir immer mehr Fehler und immer mehr Sünde bei uns und anderen entdecken. Es verstärkt sich also selbst. Und da es uns den Zugang zu unserem wahren Selbst versperrt, sorgt es letztendlich dafür, dass wir im Grunde noch mehr sündigen.


Die Sünde führt zur Sünde

Denn das ist ja der Kern der wirklichen Sünde: unsere Trennung von unserem göttlichen Licht, von der Liebe in unserem Bewusstsein. Verstehst du, was da passiert? Es ist die Sünde, die zur Sünde führt, wenn wir sie falsch verstehen und falsch anwenden. Das ist, finde ich, das Fatalste und das ist millionenfach in der Geschichte des Christentums geschehen.

Denn all das Reden und all die Bücher und Texte lenken unsere Aufmerksamkeit immer wieder darauf, dass wir Sünder sind oder sündigen. Und die Vorstellung, dass das Leben mit einer Erbsünde beginnt, impft uns eine Negativität, einen Zweifel an uns selbst ein. Und dieser Zweifel ist es dann, der sich selbst bewahrheitet und beweist. Und deshalb wird es Zeit, das abzulegen, wenn es noch in dir ist.

Im Judentum gibt es keine Erbsünde. Der jüdische Glaube beruft sich ja auf das Alte Testament. Kein Jude käme aber auf die Idee, in diesen Schriften die Erbsünde zu sehen. Es ist ein Gedanke, der durch Augustinus in die Welt kam, der an sich selber litt, der ausschweifend gelebt hat und dann später anderen versagte, was er selbst einst genoss.

Nicht die Sünde steht am Anfang, am Anfang steht der Ursegen, die Gutheißung des Lebens - deines Lebens, deine Gutheißung steht am Anfang deines Lebens.


Alles nur noch Licht?

Jetzt könnte man schnell dazu übergehen, die Sünde ganz einzumotten, einfach ab auf den Speicher und am besten ganz vergessen. Wir reden nur noch über das Gute, wollen unseren Blick nur noch auf unser Gelingen setzen, überall nur noch Liebe und Glück sehen. Ja, lass es uns so machen. Wir streichen auch andere Worte aus unserem Vokabular, die uns ein ungutes Gefühl bereiten. Das Wort Fehler, das Wort Schuld, ja, auch das sind Kandidaten für unseren Speicher der überkommenen Worte.

Und so wird es ja auch in vielen Büchern propagiert. Das positive Denken geht davon aus, dass wir alles schaffen können, wenn wir es uns nur vorstellen und wenn wir unseren inneren Gedankengang ganz auf das Positive hin ausrichten. Klingt gut und logisch auch.

Und die Positive Psychologie sagt uns dann auch noch, dass wir am besten immer dafür sorgen, dass wir uns einfach gut fühlen. Es gibt viele Übungen dazu, die wir machen können. Für jede Lebenslage gibt es einen Weg, und so können wir dafür sorgen, dass wir immer gut drauf sind. Das klingt doch wirklich sehr verheißungsvoll und auch nachvollziehbar.

Und so könnten wir uns auf den Weg machen und nicht nur Worte in den Speicher bringen, sondern auch Bilder, Gesten, Taten. All das vermeiden wir, alles, was uns auch nur den Hauch eines unguten Gefühls vermittelt und auf alle Fälle solche, die uns irgendwie klein machen. Ja, so könnte man vorgehen.


Der Segen der Sünde

Doch das wäre fatal und ein großer Irrtum. Es klingt verlockend, und ich bin im Laufe meines Lebens auch schon mehrmals darauf reingefallen. Wer wollte es auch verdenken, wenn man ganz unten ist, wenn man spürt, mein Leben gerät aus den Fugen, dann sind doch Bücher verlockend, die mir ein Glück versprechen, die mir sagen, ich muss nur lieben und reine Liebe sein, und alles ist gut. Natürlich soll ich lieben, und natürlich bin ich reine Liebe, aber das heißt nicht, dass ich nicht auch anderes spüren darf - ja, spüren muss.

Denn das Fatale in der spirituellen Szene ist ja, dass man schnell alles verdrängt, was negativ ist. Man will sich nur dem Licht zuwenden und alle Dunkelheit vergessen. Ganz im Licht sein, und mein ganzes Leben findet einen Weg. Nur verhält es sich in uns leider anders.

Denn unser inneres Wachstum geschieht dadurch, dass wir lernen mit negativen Erfahrungen umzugehen. Es sind nämlich unsere Fehler, unser Ärger, unsere Ängste und Sorgen, die, wenn es uns gelingt, sie einzuordnen, für unser inneres Wachstum sorgen. Und das tun sie, wenn du sie mit deinem inneren Licht in Kontakt bringst.

Denn, wenn wir unsere Dunkelheiten nicht mit dem Licht in Berührung bringen, dann irren solche Ängste und Verletztheiten in unserem Inneren umher und sorgen für ein großes Chaos. Um es anders zu sagen: Wir brauchen den Kontakt mit unserer Dunkelheit, damit wir wirklich wachsen, reifen und an Tiefe gewinnen.


Kontakt zum Licht

Wir brauchen nicht das Gerede von Sünde, aber wir brauchen es, dass unsere Schmerzen, unsere Angst und Sorge wahrgenommen und mit dem inneren Licht in Kontakt gebracht werden, damit sie heilen können. Denn die Vermeidung von allem, was uns Angst macht, Sorge bereitet und von allem, was uns schmerzt, führt zu spirituellem Bypassing. Wir umgehen dabei die Dunkelheit, weil wir direkt ins Licht wollen.

Du wirst also lernen müssen, deine Dunkelheit anzusehen, du wirst lernen müssen, einen gewissen Grad an Schmerzen aushalten zu können, weil nur so es möglich ist, dass du diese inneren Zustände dann in Kontakt bringen kannst mit dem Licht. Das ist das Geheimnis der Heilung, das ist die eigentliche Bedeutung von dem, was man Beichte nennt, das ist das Geheimnis von innerem Wachstum, von einer wirklichen tiefen Spiritualität: aus dem Licht heraus in Kontakt zu treten mit der Dunkelheit.


Entfremdung vom inneren Licht

Dafür musst du natürlich erst einmal das innere Licht gefunden haben. Und hier tritt der tiefere Sinn der Sünde zutage. Es ist nämlich dieser Riss in uns, diese Trennung vom inneren Licht, was das eigentliche Problem ist. Wir haben im Laufe unseres Lebens diesen Zugang verloren. Wir wollten unsere Eltern freundlich stimmen, weil wir als kleine Kinder abhängig von ihnen waren.

Wir wollten dazugehören und haben eigene Bedürfnisse dafür gerne unterdrückt. Wir wollten verhindern, wieder Angst zu bekommen, wollten nie wieder diesen Schmerz spüren und waren dafür bereit, uns selbst zu verlieren - und das haben wir dann auch.

Und das ist das, was man sicherlich nicht mehr mit Sünde bezeichnen sollte, da es zu moralisch ist. Es ist dieser Riss, diese Trennung, die wirklich schlimm und dramatisch ist. Einen Weg zurückzufinden, das ist unser Auftrag. Dafür aber muss ich bereit sein, die Oberfläche zu verlassen und meinen Weg durch manche Dunkelheit zum Licht zu finden. Und diesen Weg zu verweigern, sich schnell mit Oberflächlichkeiten zufrieden zu geben, diese innere Frage, dieses innere Suchen und diese Ahnung von dem Mehr im Leben zu betäuben, das ist die eigentliche Sünde, der eigentliche Fehler.


Erinnere dich!

Aber hier hilft eben nicht das Reden von Sünde, hier helfen keine Vorwürfe. Hier helfen nur freundliche Erinnerungen, das In-Erinnerung-Rufen: Denk daran, du bist mehr als du siehst. Denk daran, dass diese Welt nicht die letzte Realität ist. Denk daran, dass es das innere Licht gibt, dass auch du ein göttliches Ich hast.

Und das ist zum Beispiel auch der tiefere Sinn von Wegkreuzen und kleinen Stelen mit einer Maria oder einem Heiligen, der Sinn von Kreuzen und Ikonen an den Wänden. Sie sollen uns daran erinnern, dass wir dieses Göttliche in uns tragen, und dass es einen Weg dazu gibt.


korrigiertes Transskript


Das könnte Dich auch interessieren

jetzt ansehen
jetzt ansehen
{"email":"Email address invalid","url":"Website address invalid","required":"Required field missing"}

Online-Kurs vom 4. - 24.12.2023

Erwecke deine göttliche Kraft

Wie du mit deinen drei Energiezentren arbeitest, um zu deinem inneren Licht zu finden und es für dein Leben nutzbar zu machen.

>