Narzissmus ist ein Thema, das oft im Kontext der Psychologie und Psychotherapie behandelt wird. Doch hat Narzissmus auch eine tiefere spirituelle Dimension.
Narzissmus in der Bibel: Der Turmbau zu Babel
Ein klassisches Beispiel für kollektiven Narzissmus findet sich in der Bibel beim Turmbau zu Babel. Die Menschen wollten einen Turm bauen, der bis in den Himmel reicht, um auf Augenhöhe mit Gott zu sein. Dieses Vorhaben symbolisiert den Wunsch, gottgleich zu sein und ist ein Ausdruck tiefen Narzissmus. Ebenso zeigt die Geschichte von König Nebukadnezar, der wegen seines Stolzes bestraft wurde, wie Narzissmus die animalischen Seiten des Menschen wecken kann.
Narzissmus und religiöse Gruppen
Auch religiöse Gruppen können narzisstisch sein, insbesondere wenn sie behaupten, den einzigen Weg zur Erlösung zu kennen und alle anderen als Irrgläubige abtun. Diese exklusive Haltung ist eine weitere Form des kollektiven Narzissmus. Sie zeigt sich in der Überzeugung, dass nur die eigene Gruppe im Besitz der Wahrheit ist und alle anderen sich irren.
Die spirituelle Perspektive auf Narzissmus
Narzissmus kann als die totale Identifikation mit dem Ego verstanden werden. Während das Ego für alltägliche Aufgaben notwendig und nützlich ist, behindert es die spirituelle Entwicklung, wenn es das Selbst dominiert oder gar verdrängt. Das Selbst, im spirituellen Sinn, ist der authentische Teil des Menschen, eine Art Schnittstelle zwischen dem Menschen und Gott. Bei einer totalen Identifikation mit dem Ego wird das Selbst verdrängt und abgespalten.
Doch bei aller Kritik an dem Narzissmus, am Fuße einer narzisstischen Störung ist etwas, das wir alle kennen. Denn alles beginnt mit der Sehnsucht nach dem Großen, dem Vollkommenen, dem Schönen und Starken. Wir haben eine Sehnsucht danach, uns damit zu verbinden, und wenn wir Gott darin erkennen, ist es auch gut und richtig so. Aber wenn wir diese Sehnsucht auf uns selbst projizieren, sprich auf unser Ego, dann kann daraus Narzissmus werden. Was aber wichtig festzuhalten ist: Auch im Narzissmus ist eine tiefe Bewegung hin zu Gott enthalten - natürlich nur im Kern.
Märchen als Spiegel des Narzissmus
Auch in Märchen finden wir Beispiele für Narzissmus, wie etwa die böse Stiefmutter in "Schneewittchen", die ihre Schönheit über alles stellt und andere manipuliert, um ihre Position zu halten. Diese Geschichten zeigen die extremen Formen der Manipulation und Selbstinszenierung, die typisch für narzisstisches Verhalten sind.
Narzissmus vs. Selbstliebe
Ein wichtiger Aspekt in der spirituellen Praxis ist die Unterscheidung zwischen Narzissmus und Selbstliebe. Echte Selbstliebe kommt aus einer tieferen Ebene des Selbst und erkennt den eigenen Wert an, ohne Perfektion anzustreben oder andere abzuwerten. Narzissmus hingegen basiert auf einer oberflächlichen Selbstwahrnehmung, die ständig Bestätigung und Bewunderung von außen sucht.
Wege zur Überwindung des Narzissmus
Die Spiritualität bietet verschiedene Wege, um Narzissmus zu überwinden. Ein zentraler Aspekt ist die Demut, die Akzeptanz der eigenen Unvollkommenheit und die Anerkennung Gottes als die höhere Macht. Selbstloser Dienst, der ohne Erwartung von Anerkennung geleistet wird, kann ebenfalls helfen, das Ego zu überwinden. Die fortwährende Hinterfragung des Egos und die Besinnung auf das Selbst sind weitere Schritte auf diesem Weg.
Schlussgedanken
Narzissmus und Spiritualität stehen in einem grundsätzlichen Widerspruch zueinander. Während Narzissmus die totale Identifikation mit dem Ego bedeutet, erfordert Spiritualität die Hingabe und die Anerkennung einer höheren Macht. Die Geschichten und Lehren, die uns die Religionen und die spirituelle Praxis bieten, zeigen Wege auf, wie wir uns von narzisstischen Tendenzen lösen und ein authentischeres, spirituelles Leben führen können.