Ist es wirklich erstrebenswert, ein Krieger zu sein? Wenn ich in diesem Video vom Krieger spreche, dann denke bitte daran, dass ich immer auch die Kriegerin meine, um dies unmissverständlich auszudrücken. Die Vorstellung, ein Krieger zu sein, mag anfangs wenig erstrebenswert erscheinen, denn wer möchte schon im Kampf um Leben und Tod stehen, wer möchte töten oder anderen Schaden zufügen? Das kann doch unmöglich erstrebenswert sein, höchstens in Selbstverteidigung und Notwehr.
Archetypen?
Doch was kann dieses Bild eines Kriegers in der Tiefe wirklich bedeuten, so dass es für unser Leben wichtig wird? Ich möchte betonen, dass es hierbei keineswegs um die Verherrlichung von Gewalt geht. Vielmehr geht es um den Krieger als Archetyp. Ein Archetyp ist ein Strukturelement unseres Bewusstseins, das wir alle gemeinsam teilen und auf das wir alle Zugriff haben, weshalb es auch im kollektiven Unbewussten gespeichert ist. Unbewusst bedeutet, dass wir keinen direkten Einfluss darauf nehmen oder direkt damit arbeiten können.
Dennoch existieren diese Strukturelemente in uns, und wir benötigen sie für unseren individuellen Entwicklungsprozess. Diese Archetypen beeinflussen unser Leben und stellen uns vor Aufgaben. Der Krieger ist ein solcher Archetyp, und seine Funktion besteht nicht darin, Gewalt zu fördern, sondern uns wichtige und notwendige Eigenschaften und Fähigkeiten zu vermitteln, die für unser Leben, insbesondere für unser spirituelles Leben, von großer Bedeutung sind.
Jenseits des Toxischen
In unserer Gesellschaft hat es der Krieger jedoch nicht leicht, da er oft mit Gewalt und einer toxischen Form von Männlichkeit in Verbindung gebracht wird. Es ist wichtig zu verstehen, dass Folgendes für alle Archetypen gilt: Wenn sie nicht angemessen in unser Leben integriert werden, können sie sich in falsche Formen verwandeln. Dabei gibt es immer eine Form, bei der zu viel Energie eines Archetyps in unser Leben fließt, und eine Form, bei der zu wenig dieser Energie und Struktur sichtbar werden.
Zu viel Krieger
Wenn zu viel Krieger-Energie in unser Leben fließt, führt dies oft zu Überregulierung und Rigidität. Alles wird festgelegt und vorgegeben, Abweichungen werden verurteilt, und man empfindet Schuldgefühle. Es entstehen starre Regeln und Verbote, und die Bereitschaft wird erhöht, Gewalt anzuwenden, zu beherrschen und andere zu unterdrücken. Diese Gewalt kann sowohl offen als auch subtil sein, denn sie kann sich auch in psychischer Gewalt äußern.
Zu wenig Krieger
Andererseits gibt es die Form, bei der zu wenig Kriegerenergie in unser Leben fließt. Dies kann sich durch Unordnung und mangelnde Konzentration zeigen oder indem man zu sehr von eigenen Stimmungen abhängig ist. Eine andere Variante eines schwach ausgeprägten inneren Kriegers besteht darin, dass man Schwierigkeiten hat, sich von anderen abzugrenzen. Man lässt zu viele Einflüsse zu und wird regelrecht von ihnen absorbiert.
In unserer Gesellschaft wird Empathie sehr geschätzt, und das ist durchaus richtig so. Doch oft wird Empathie mit einer Offenheit verwechselt, die uns schaden kann. Wahre Empathie erfordert auch, dass wir uns schützen und nicht alles ungefiltert in uns aufnehmen. Andernfalls werden wir aus Selbstschutz letztendlich auch unsere Empathie einschränken.
Vielleicht bekommst du durch diese Beispiele bereits einen Eindruck davon, wie der Krieger deinem Leben eine Bedeutung geben kann und dass es sich lohnt, mit diesem Archetypus zu arbeiten. Jetzt möchte ich die Qualitäten eines integrierten Kriegers näher erläutern und am Ende ein paar Übungen vorstellen, mit denen du beginnen kannst, den Krieger in dir zu entfalten.
Ein Krieger erfordert im Grunde genommen eine gewisse Schulung, anders als der Held, dessen Archetyp im Wesentlichen nicht schulbar ist. Der Krieger hingegen muss trainiert werden, da er anfällig für Fehlentwicklungen ist, wie wir sie in unserer Gesellschaft und in vielen Familien beobachten können. Leider hat unsere Gesellschaft jedoch keine entsprechende Schulung für diesen Archetypen entwickelt.
Selbstregulation
Welche psychische Aufgabe hat der innere Krieger in unserem Leben? Der innere Krieger sorgt dafür, dass wir uns selbst regulieren und in Notfällen unsere Emotionen kontrollieren können. In schwierigen Situationen und Konflikten ist es nicht hilfreich, von Emotionen überwältigt zu werden. Denn in einem solchen Zustand können wir nicht klar denken und sind nicht in der Lage, kluge Entscheidungen zu treffen. Wenn beispielsweise die Angst vor deiner Vorgesetzten so groß ist, dass du kaum ein Wort herausbekommst, dann ist das hinderlich. In solchen Momenten benötigst du eine innere Strategie, um mit deiner Angst anders umzugehen. Dabei geht es nicht darum, die Angst loszuwerden, sondern darum, sie nicht länger die Oberhand gewinnen zu lassen. Emotionen sind in der Regel keine guten Ratgeber, sondern liefern lediglich Informationen für Entscheidungen. Um diese Informationen sinnvoll zu nutzen, benötigen wir eine Instanz jenseits unserer Gefühle. Viele Menschen identifizieren sich zu stark mit ihren Emotionen. Sie sind der Meinung, dass das, was sie fühlen, sie auch tatsächlich sind. Wenn sie Angst empfinden, sind sie Angst. Doch wir sind immer mehr als das, und es gibt einen Bereich in unserem Bewusstsein, in dem wir weder Angst noch Freude, sondern eine klare und eindeutige Präsenz erleben können. Wir können unsere Emotionen wahrnehmen und sogar intensiv erleben, aber wenn es um Entscheidungen und Gefahrensituationen geht, kehren wir zu diesem inneren Bereich zurück, der uns unabhängiger und freier macht. Durch den Archetyp des Kriegers wird genau dieser Bereich in uns gestärkt und entwickelt.
Innere Ausrichtung
Was benötigt ein Krieger noch? Bleiben wir bei der Metapher. Ein Krieger benötigt innere Ausrichtung. Er muss innerlich ausgerichtet sein, was bedeutet, dass er sich nicht verzettelt, nicht zu viele Dinge gleichzeitig verfolgt, sondern klare Ziele hat, für die er einsteht. Hierbei handelt es sich nicht um äußere Ziele, sondern um innere. Wenn du einen spirituellen Weg einschlägst oder bereits eingeschlagen hast, dann richtest du deine Ausrichtung auf diesen Weg aus. Das Ziel könnte beispielsweise die Verbindung zum Göttlichen sein. Ohne eine klare Ausrichtung wirst du auf deinem Weg keine Fortschritte machen. Diese Ausrichtung erfordert auch Entschlossenheit und die Fähigkeit, weniger wichtige Ziele hintanzustellen. Du wirst erleben, wie sich dadurch dein Inneres neu strukturiert und eine größere Klarheit in dein Leben einzieht.
Kraft zur Trennung
Um dies zu erreichen, bedarf es der Kraft der Trennung. Das Schwert ist das Symbol des Kriegers und dient auf psychischer Ebene dazu, zu trennen. Nicht aus Willkür, sondern aus gutem Grund und zum Schutz. Eine Entscheidung ist eine Form der Trennung. Mit jeder Entscheidung trennen wir uns von anderen Möglichkeiten. Wer sich nie wirklich entscheiden kann, dem fehlt womöglich die Energie des Kriegers. Zur Trennung und Entscheidung gehört auch die Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen und Fehler zu akzeptieren. Denn nur, weil man den Kriegeraspekt in seinem Leben aktiviert, bedeutet das nicht, dass man ausschließlich gute Entscheidungen trifft. Schau doch einmal in dein Leben: Wovon hättest du dich eigentlich längst verabschieden sollen? Was hängt noch immer fest und sollte längst losgelassen werden? Es kann sich auch um alte Erfahrungen und Glaubenssätze handeln. Sich davon zu trennen, kann ebenfalls aus der Kraft des Kriegers geschehen.
Schutz der Grenzen
Eine weitere offensichtliche Qualität des Kriegers ist der Schutz. Dies ist vielleicht seine grundlegendste Qualität, auch auf psychischer Ebene. Der innere Krieger ist die Kraft, die die Integrität unserer psychischen und physischen Grenzen gewährleistet. Dies ist von grundlegender Bedeutung. Wir benötigen alle die Fähigkeit, zu sagen: "Bis hierhin und nicht weiter." Ohne klare Grenzen können wir keine gesunden Beziehungen führen und uns in dieser Welt nicht angemessen schützen. Um dies zu erreichen, müssen wir unsere eigenen Grenzen kennen und aktiv verteidigen können. Wenn du dazu in der Lage bist, dann ist der Krieger gut in dir verankert.
Schutz und Trennung sind eine gute Grundlage für wahres Mitgefühl. Mitgefühl bedeutet nicht, dass man dasselbe fühlt wie der andere, sondern dass man mitfühlt. Man ist dem anderen nahe, ohne in ihn hineinzuspringen und seine Emotionen zu übernehmen. Oftmals neigen wir dazu, uns zu stark in die Gefühle einer anderen Person hineinzuversetzen oder ihr zu nahe zu kommen. In solchen Momenten kann es passieren, dass wir uns so stark abschirmen müssen, dass kein Platz mehr für Mitgefühl bleibt.
Beharrlichkeit
Bevor ich zu den Übungen komme, möchte ich abschließend noch eine weitere Qualität des Kriegers erwähnen: die Beharrlichkeit. Der Krieger ist die Kraft, die uns dazu ermutigt, an einer Sache festzuhalten, nicht zu früh aufzugeben und trotz Rückschlägen unser Ziel immer vor Augen zu behalten.
Übungen
Wie kannst du nun diese Qualitäten, die dem Krieger zugeschrieben werden, in deinem Leben stärken und weiterentwickeln? Wie kannst du innere Klarheit und Kraft erlangen? Hier ist eine Übung, die dir helfen kann: Stelle dir mehrmals am Tag vor, dass du ein echtes Schwert in deinen Händen hältst. Nicht, um damit jemanden zu verletzen, sondern um die damit verbundene Kraft zu spüren. Das Schwert symbolisiert den Krieger und seine Qualitäten. Diese Vorstellung hat mir persönlich immer geholfen, mich selbst zu zentrieren und im Chaos meiner Emotionen einen klaren Standpunkt zu finden.
Eine weitere hilfreiche Übung kann sein, dich in die Haut eines Kriegers oder einer Kriegerin zu versetzen. Vielleicht hast du ein Vorbild aus einem Film oder einem Buch, oder du erschaffst dir dein eigenes Bild. Versuche, in die Rolle dieser Figur zu schlüpfen und spüre, wie es sich anfühlt, in deinem Körper so zu sein. Dies ist ebenfalls ein effektiver Weg, den inneren Krieger in dir zu aktivieren.
Eine weitere Visualisierungsübung betrifft deine eigenen Grenzen. Spüre, wie es sich anfühlt, wenn deine Grenzen so klar und stark sind, wie es für dich richtig ist. Hierbei geht es nicht darum, sich abzuschotten, sondern darum, die Kontrolle darüber zu haben, wer deine Grenzen überschreiten darf. Dafür müssen sie zuerst festgelegt und geschützt werden. Spüre diese klaren und festen Grenzen um dich herum, so dass sie sich gut und sicher anfühlen. Diese Übung wird dir mehr innere Freiheit schenken.
Eine letzte Übung
Abschließend noch ein letzter Vorschlag: Stelle dir dein Ziel, egal welches es sein mag, als eine Art Gegenüber vor, auf das du deine gesamte Aufmerksamkeit und Energie ausrichtest. Du kannst dann spüren, was Ausgerichtetheit bedeutet und wie wichtig sie ist.