Das ist die große Frage der Philosophie, ja, des Menschen überhaupt: die Frage, ob wir einen freien Willen besitzen oder ob alles im Grunde bestimmt ist. Wenn ich hier zu dir spreche, tue ich das dann aus mir selbst heraus oder gibt es externe Faktoren, die mich dazu veranlassen zu sprechen, oder gibt es ganz unbewusste Faktoren, die dafür gesorgt haben, dass ich jetzt die Kamera betätigt habe und dieses Video drehe? War das also meine eigene freie Entscheidung oder hat etwas entschieden, das zu tun, auf das ich wieder keinen Einfluss habe? Das ist eine ganz wichtige Frage, und je nachdem, welche Antwort du für möglich hältst oder welche wir als Gesellschaft annehmen, kommen unterschiedliche Ergebnisse dabei heraus.
Sind wir frei?
Wenn niemand für sein Handeln verantwortlich ist, dann machen Strafe und ein Strafgesetzbuch auch keinen Sinn. Man kann dann Menschen nur wegsperren, damit sie nicht wieder anderen Menschen schaden. Aber das Ziel, einen Menschen zu verändern oder eine Handlung mit einer so hohen Strafe zu versehen, dass man sich mehrmals überlegt, ob man diese Strafe riskiert, das hat keinen Bestand, wenn wir keinen freien Willen haben. Wir folgen dann einfach einer Entscheidung, die wir nicht selbst bewusst getroffen haben. Sind wir also frei oder nicht? Sind wir bestimmt, fremdgesteuert und merken es nicht? Leben wir vielleicht in der Illusion, wir könnten über unser Leben und unser Handeln frei bestimmen?
Wir brauchen Freiheit
Freiheit ist uns doch so wichtig und gilt gesellschaftlich, aber auch ganz persönlich - und das meine ich auch für mein Leben - als höchster Wert. Ich möchte auch frei sein und kann es gar nicht gut haben, wenn mir gesagt wird, was ich zu tun und zu lassen habe, wenn man bestimmen möchte, wie ich zu leben und was ich zu glauben habe. Ich will das alles selbst bestimmen, möchte frei sein in meinem Glauben und meiner Spiritualität. Und ich habe ja auch in vielen Bereichen den Eindruck, dass ich es bin, der hier entscheidet und diese Handlung vollzieht. Ich bin der, der sich entschlossen hat, dieses Video zu drehen. Ich bin der, der vorhin noch eine Tasse Kaffee getrunken hat. Und ich bin es, der sich nachher noch mit einem Freund trifft. Bin ich es aber wirklich? Oder meine ich das nur und merke nicht, wie andere Faktoren mich bestimmen und unbewusste Wünsche und Bestrebungen anordnen, was ich scheinbar in Freiheit vollziehe.
Ich sagte es schon in Bezug auf Strafe und Verbrechen, wie wichtig Freiheit ist. Auch spirituell ist es wichtig, weil wir nur in Freiheit spirituell sein können. Man kann weder glauben noch lieben, indem man gezwungen wird. Selbst wenn man es selber noch so sehr möchte, sind die Liebe und der Glaube eine freie Tat oder besser gesagt, unterliegen nicht unserem Willen, sondern entstehen aus sich selbst heraus.
Du bist, was deine Gene dir sagen
Aber auch hier - eine Illusion? Nett anzuhören, aber eigentlich falsch? Vielleicht sind wir ja durch unsere Gene bestimmt - vieles ist darüber festgelegt, das wissen wir. Unsere Haarfarbe und unsere Größe sind nichts, was wir uns ausgesucht haben, sondern was wir ins Leben mitbekommen haben. Wir können zwar unsere Haarfarbe wechseln, doch der Körper wird immer nur diese eine Farbe produzieren, gegen die ich ankämpfe und meine Haare färbe. Manche Krankheiten gehören auch zum Gut unserer Gene, und viele Menschen leiden darunter. Insofern sind wir in vielen Bereichen durch unsere Gene fremdbestimmt und sie grenzen unsere Freiheit ein.
Da öffnen sich natürlich viele Fragen bezüglich des Geschlechts und der Änderung des Geschlechts. Aber das ist ein anderes Thema.
Die bahnbrechende Untersuchung
Vor vielen Jahren hat es zum Thema Freiheit eine spannende Untersuchung gegeben, die bis heute als revolutionär angesehen werden kann. Neurowissenschaftler haben dabei entdeckt, dass, bevor wir uns bewusst für eine Handlung entscheiden, bereits unbewusst die Entscheidung gefallen ist. Mit anderen Worten, wenn wir meinen, ich hätte mich frei dazu entschieden, ein Brötchen zu essen, dann ist das falsch. Bevor ich überhaupt bewusst meine Entscheidung gefällt habe, wurde in meinem Gehirn unbewusst schon entschieden, dass ich es tue. Meine bewusste Entscheidung hat nur noch vollzogen, was unbewusst längst klar ist.
Und mit dieser Untersuchung war erstmals bewiesen worden, dass es keinen freien Willen gibt. Wir sind unbewusst bereits entschieden, bevor wir es bewusst merken. Diese Untersuchung hatte wahre Erdbeben verursacht, Bücher wurden geschrieben. Philosophen meldeten sich und sagten, dass Neurowissenschaftler keine philosophische Aussage machen können, das wäre die Sache der Philosophen. Doch es führte kein Weg daran vorbei, zu erkennen, dass unsere Handlungen unbewusst entschieden werden und nicht bewusst. Damit aber entfällt die Freiheit.
Und was machen wir jetzt?
Wie wir wissen, gibt es weiterhin Gefängnisse und Gerichte, und wir sprechen weiterhin von Verantwortung und dem Tragen von Konsequenzen - alles nicht mehr logisch, wenn es keinen freien Willen gibt. Jeder Verbrecher ist Sklave einer unbewussten Entscheidung und kann daher dafür auch nicht zur Verantwortung gezogen werden. Und jetzt? Wie machen wir jetzt weiter? Ist mein Video jetzt zu Ende, die Entscheidung ist ja gefallen, wir sind nicht frei. Doch so einfach ist es nicht, und du weißt, dass das Video noch länger geht, also gibt es auch noch mehr zu sagen. Wie finden wir also wieder heraus aus dem Dilemma?
Was ist Freiheit überhaupt?
Die entscheidende Frage ist: Welchen Begriff von Freiheit legen wir eigentlich zugrunde? Was verstehen wir unter Freiheit? Wenn man einen vielleicht 18-jährigen oder eine 20-jährige fragt, dann vermute ich mal, dass deren Antwort lauten wird: Freiheit heißt, dass ich tun kann, was ich will. Niemand bestimmt über mich, ich entscheide, wann ich aufstehe, was ich lerne und wo ich wohne. Das ist ja auch das Ergebnis der Volljährigkeit, dass man diese Freiheit bekommt und die Eltern in dieser Hinsicht keine Möglichkeit mehr haben, über mich zu bestimmen. Aber ist das wirklich Freiheit? Oder müssen wir die Freiheit ganz neu erfassen und verstehen? Ist Freiheit anders zu verstehen als das Freisein von Kräften, die mein Handeln verursachen?
Freiheit, du selbst zu sein
Meiner Meinung nach müssen wir Freiheit anders verstehen. Zumindest eröffnet uns ein anderes Verstehen von Freiheit eine Möglichkeit, eben diese Freiheit wieder für unser Leben anzunehmen. Was also ist denn dann Freiheit? Ich greife jetzt auf die Überlegung des Psychologieprofessors Julius Kuhl zurück, bei dem ich Persönlichkeitspsychologie und Coaching gelernt habe. Er sagt: Freiheit heißt, dass ich aus mir selbst handle. Und bei dieser Definition spielt das Wort "Selbst" eine zentrale Rolle. Denn nach Julius Kuhl kann ich einerseits aus meinem Selbst heraus handeln und aus dem, was er das "Ich" nennt. Das sind die beiden Möglichkeiten. Ich kann auch handeln aus Gewohnheiten, Instinkten oder äußeren Zwängen, die mich dann von meinem Selbst wegbringen. Beschäftigen wir uns also zunächst mit dem, was Julius Kuhl das Selbst nennt.
Und was ist das Selbst?
Dieses Selbst ist nicht nur ein Teil unseres Gehirns - Psychologen lieben eben auch die Neurowissenschaften - es ist eine ganz eigene Intelligenz. Diese Intelligenz ist vernetzt, denkt in Zusammenhängen und nicht kausal. Sie sucht also nicht mehr nach der einen Ursache, sondern kann erkennen, dass sich bestimmte Verhaltensweisen beispielsweise aus ganz unterschiedlichen Gründen und Ursachen heraus speisen. Dieses Selbst verarbeitet Informationen sehr schnell und denkt vor allem in Bildern. Es ist stark mit dem Körper verbunden und trägt stets eine gewisse Zuversicht mit sich. Bei Achtsamkeitsübungen wird das Selbst aktiviert, bei der Meditation, beim Yoga oder wenn ich einer Arbeit nachgehe, die mich aus sich selbst heraus motiviert. Julius Kuhl sagt nun: Ich bin frei, wenn ich aus diesem Teil meiner Persönlichkeit heraus handle - dass ich frei bin, wenn ich aus mir selbst heraus handle.
Sein aus Angst heraus
Ich kann eben auch aus anderen Bereichen handeln, aus Angst oder eben aus Instinkten, wie ich es schon beschrieben habe. Aber frei bin ich dann nicht, frei bin ich, wenn ich wirklich aus mir selbst handle. Und das spürt man, es fühlt sich richtig und stimmig an, man fühlt sich im Leben angekommen und hat festen Boden unter den Füßen. Und es ist der Bereich unserer Persönlichkeit, in dem Spiritualität entsteht und mystische Erfahrungen stattfinden. Hier zu sein, hier verankert zu sein, sein Leben aus diesem Bereich, eben aus dem Selbst zu gestalten, das ist Freiheit. Wenn du hier gelandet bist, dann bist du frei.
Natürlich ist dieses Selbst nicht nur das, was die Psychologen kennen und untersuchen. Das ist wichtig, aber letztlich nur ein Schatten dessen, was es noch ist und für dich sein will. Denn neben den Eigenschaften wie Ruhe, Kreativität und der bereits erwähnten bildlichen Verarbeitung, der Zuversicht und der Verbundenheit mit dem Körper, hat das Selbst auch eine Tiefe und besondere Qualitäten, die wertvoll sind.
Die spirituelle Seite des Selbst
Und diese Qualitäten sind Liebe. Und ich meine natürlich nicht das Verliebtsein, sondern ehrliche Liebe, die ich jemand anderem oder mir selbst entgegen bringe. Hingabe ist auch ein Wort und eine Eigenschaft, die hier zu finden ist. Demut und auch göttliche Gegenwart sind Aspekte, die sich in der Tiefe des Selbst finden, die aber keine Psychologie erforschen kann und vielleicht auch gar nicht will.
Und so nähern wir uns nun dem Begriff der Sünde, das theologische Wort für das Böse oder eben das Nicht-Freisein. Denn Sünde ist damit der Zustand, in dem ich mit diesem Selbst nicht verbunden bin. Ich bin dann nicht ich selbst. Ich agiere und entscheide aus Bereichen meiner Persönlichkeit, die mich zum Sklaven machen, die mich in die Angst bringen, in die Enge und in die Kleinmütigkeit. Und so erleben wir den Zustand auch - er ist genau das Gegenteil von dem, was wir erleben, wenn wir im Selbst sind.
Was ist Sünde?
Und so ist es in gewisser Weise eine Sünde - und jetzt ist es wichtig, das, was ich sage, nicht zu moralisch anzufassen - es ist also eine Sünde, wenn ich einer Arbeit dauerhaft nachgehe, die gar nicht zu mir passt. Es führt mich in die Unfreiheit, wenn ich lieblos bin, wenn ich nur rational die Welt und andere Menschen verstehe. Es führt in die Unfreiheit und in die Sünde, wenn ich keinen Sinn für Lyrik, Musik oder Kunst habe - welche Form auch immer. Es führt in die Unfreiheit, wenn ich nicht Mitgefühl zeigen kann. Es führt in die Unfreiheit, wenn ich mich spirituell oberflächlich lebe und mich nicht um Tiefe bemühe.
Wenn du diesem Gedanken folgen willst, dann bleibt es natürlich bei der Feststellung der Forscher, dass unsere Entscheidungen für eine Handlung festgelegt worden sind, bevor wir sie bewusst wahrnehmen. Aber dadurch, dass wir Freiheit neu verstehen, können wir sagen, dass es dennoch Freiheit gibt, die Freiheit ganz ich zu sein, aus meiner Weite heraus zu leben und daraus zu handeln und zu entscheiden. Dann entsteht wirkliche Freiheit und dann schwindet die Sünde.
Du bist frei - wenn du "Selbst" bist
Und deshalb: Ja, du bist frei, wenn du dich ganz mit diesem Selbst verbunden hast und dein Leben daraus gestaltest. Alle anderen Bereiche unserer Persönlichkeit sind dann zur Unterstützung da - wir brauchen natürlich auch unser rationales Denken. Aber wir sollten unser Leben nicht allein daraus gestalten und verstehen. Deshalb lade ich dich ein, in deinem Alltag selbst wahrzunehmen, wo du aus dem Empfinden der Weite und eines Flows lebst, also eines gefühlten Energiestroms, den man wahrnimmt, wenn man etwas tut, was einem entspricht. Und wann du aus Enge und purer Rationalität, aus Angst und Gewohnheit lebst. Versuche immer mehr aus der Weite zu leben und aus dem Flow - das ist es, worum es geht. Und im spirituellen Leben haben wir dafür andere Worte, die auf einer tieferen Ebene wirken wollen: Nimm die göttliche Präsenz wahr und lebe daraus.
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