Mit Toten sprechen?

18. November 2023

Mit Toten sprechen? Ist das nicht gruselig, eigenartig, ja, krank? Ohne Zweifel kann es das sein und doch ist es ganz normal, es ist normal, mit den Toten in Kontakt zu sein und war es zu allen Zeiten. Gerade wenn es um das Sterben und den Tod geht, gibt es viele ganz besondere Riten und Traditionen. Früher wurde das Fenster geöffnet, wenn jemand gestorben war, damit die Seele entweichen konnte und nicht in einem Zimmer gefangen blieb. Spiegel wurden verhüllt, Kerzen ausgepustet, und bei wichtigen und wohlhabenden Persönlichkeiten wurden die Springbrunnen abgeschaltet und die Uhren angehalten. Man beachtete die dreitägige Totenruhe, bis es dann zur Beerdigung kam. Und auch hier zahlreiche Riten und Traditionen. Ich kann mich noch daran erinnern, wie ich mit einem Brauch als junger Bruder in Kontakt kam, den es heute kaum noch gibt. Man bestellte 30 Messen hintereinander, was "Gregoriana" genannt wurde, in der Hoffnung, dadurch besonders viel für den Verstorbenen getan zu haben. Überhaupt ist das Stipendienwesen in der Katholischen Kirche ein starker Ausdruck dieser oft geheimen Kommunikation mit den Verstorbenen oder die letzte Fürsorge für den geliebten Menschen. So ist es üblich, 30 Tage nach der Beerdigung eine Messe lesen zu lassen und dann jedes Jahr am Todestag. Das sind Vorformen des Kontakts mit den Verstorbenen, die im kirchlichen Bereich angesiedelt sind.


Meine Katze

Aber jeder von uns kennt zumindest aus Spielfilmen Szenen, wo eine kleine Gesellschaft um einen Tisch sitzt und Verstorbene befragt. Auf einem Buchstabenbrett bewegt sich dann eine kleine Holzplatte, auf die alle Anwesenden die Hände gelegt haben. So werden von Buchstabe zu Buchstabe Nachrichten buchstabiert und weitergegeben. Es gibt bekannte Medien wie Pascal Voggenhuber oder Bahar Yilmaz, die sich in England als Medium für den Kontakt mit den Toten und dem Jenseits haben ausbilden lassen. Spiritismus ist in England eine anerkannte Glaubensrichtung. Aber auch ganz gewöhnliche Menschen haben solche Kontakte. Wer einen lieben Menschen verloren hat, der spricht oft noch sehr lange mit ihm, auch wenn die Beerdigung vielleicht schon Jahre zurückliegt. Es ist nichts Ungewöhnliches dabei. Und ich kann mich daran erinnern, wie ich viele Wochen nach dem Tod meiner Katze noch ganz innig mit ihr verbunden war, wie ich mit ihr sprach und wie ich mir vorstellte, wie es ihr jetzt wohl geht. Das war für mich sehr tröstlich. Natürlich wusste ich, dass meine Vorstellungen so nicht stimmen konnten. Aber es war ein Ausdruck dafür, dass die Katze an einem guten Ort war - der ohnehin nicht vorstellbar ist.


Wo sind die Toten?

Vorstellbar ist er nicht, und doch stellt sich die Frage, wo denn die Toten eigentlich bleiben, bevor ich dann auf die Kommunikation und die Beziehung zu den Toten zu sprechen komme. Ich habe da für mich eine recht klare Vorstellung. Ich gehe grundsätzlich davon aus, dass wir alle Teilpersönlichkeiten Gottes sind. Unser Bewusstsein ist ein abgegrenzter, aber nicht abgeschlossener Teil des göttlichen Bewusstseins. Wir alle haben innere Teilpersönlichkeiten, die teilweise ein großes Eigenleben entwickeln können. Du kennst das vielleicht, wenn man mal wieder etwas getan hat, wo man sich hinterher fragt, warum man so gehandelt hat. Entweder war man zu aufbrausend oder hat doch an dem Kuchen genascht, hat doch wieder Zeit vor dem PC vergeudet - diese Erfahrungen sind Ausdruck dafür, dass innere Anteile sehr selbstständig sein können. Diese Teilpersönlichkeiten in uns sind alle Teil des ganzen Bewusstseins von uns Menschen, und so verhält es sich für mich auch über uns hinaus. Die Struktur unseres menschlichen Bewusstseins hat eine ähnliche Struktur wie das göttliche oder kosmische Bewusstsein. Denn wir sind die Teilpersönlichkeiten Gottes. Manche von uns sind sehr autonom unterwegs, andere haben ein größeres Bewusstsein dafür, aus einer gemeinsamen Quelle zu entstammen. Wenn wir sterben, dann kehren wir alle wieder zu dieser Quelle zurück, werden wieder Teil des Ganzen, Teil Gottes, wenn du so willst. Die Ablösung als Teil, um in die Gesamtheit wieder einzukehren, kann schwer sein, weil die Autonomie und die daraus resultierenden Handlungen vielleicht allzu abgegrenzt oder sogar völlig isoliert waren. Dann gerät unser Handeln aus den Fugen. Doch am Ende kehren alle heim, und das heißt, werden Teil des Ganzen, wieder Teil des göttlichen Bewusstseins. Ich persönlich glaube daher nicht, dass wir etwas für die Toten tun müssen. Alle Berichte von Nahtoderfahrungen machen deutlich, dass für alles gesorgt sein wird. Ich glaube, dass Gott selber das Paradies ist.


Wenn Tote uns helfen und unterstützen

Es kann aber dennoch gut und wichtig für uns hier auf Erden sein, wenn wir mit den Toten sprechen und den Kontakt mit ihnen pflegen. Natürlich nicht aus einer Todessehnsucht heraus - auch das habe ich im Kloster kennengelernt: Es gibt Menschen, die sich in besonderer Weise zu den Toten hingezogen fühlen, mich haben solche Menschen stets sehr irritiert. Der Tod und der Leichnam eines Menschen können sehr Unterschiedliches in einem Menschen wecken. Wenn du jemanden kennst, sei es auch nur, dass du von ihm oder ihr gelesen hast, und wenn dieser Mensch etwas Gutes in die Welt gebracht hat, dich inspiriert und unterstützt hat durch dessen Worte und Existenz, dann kann es sehr hilfreich sein, mit dem Toten in Kontakt zu sein. Im kirchlichen Kontext gelten die Heiligen als solche Menschen. Ihr Leben war vorbildlich, und daher geht man davon aus, dass sie sozusagen auch im Himmel landen, wie man das nennt. Durch die Gedenktage und Feste wird der Kontakt zu diesen Menschen hergestellt. Aber du musst dich gar nicht auf diese offiziellen Heiligen konzentrieren. Du kannst eine eigene Sammlung an Menschen haben, die dir wichtig sind, die dich begleitet haben und deren Bücher dich vielleicht berührt haben. Dann kannst du in schweren Zeiten den Kontakt suchen, und diese Erinnerung und Vergegenwärtigung dieser Menschen wird ein inneres Tor der Inspiration und der Unterstützung öffnen. Und  glaube nicht, dass das jetzt rein psychologisch zu verstehen ist, wie eine Art Trick, um an innere Ressourcen zu kommen. Ich denke schon, dass es auch möglich ist, dass eine tiefere Kraft oder, wenn du so willst, eine jenseitige Kraft hier aktiv werden kann. Auch kann der liebevolle Kontakt zu den Toten Ruhe ins Leben bringen, weil er dein eigenes Leben in einen größeren und weiteren Kontext stellt.


Lass sie gehen...

Ich habe ein paar Menschen, die bereits gestorben sind, denen ich mich noch immer sehr verbunden fühle. Einige haben mich nie kennengelernt, anderen bin ich im Grunde nur flüchtig begegnet. Aber das spielt natürlich in diesem Zusammenhang keine Rolle. Es spielt eine Rolle, dass du diese Verbindung spürst und sie lebst. Und es spielt eine Rolle, welcher Vorstellung du folgst, wo die Toten sind. Es kann auch sehr hilfreich sein, mit den Toten in Kontakt zu sein, mit denen du noch etwas zu klären hast. Alte Anschuldigungen, ein Dank, eine Freude, eine Wertschätzung, die zu Lebzeiten keinen Ausdruck gefunden haben, all das kann auch nach dem Tod mitgeteilt und mitgegeben werden. Vielleicht schreibt man einen Brief oder findet andere Formen dem Ausdruck zu verleihen. Es gibt aber auch Gründe, den Kontakt zu den Toten abzubrechen oder gar nicht erst aufzunehmen. Denn es gilt auch hier, dass du die Gehenden gehen lassen musst. Ein fortlaufender Kontakt zu den Toten kann dazu führen, dass du die Realität nicht akzeptierst, dass der geliebte Mensch tatsächlich gestorben ist und nicht mehr Teil deines Lebens, zumindest nicht mehr in der äußeren Welt ist. Ich habe zum Beispiel zu meinen Eltern fast keinen Kontakt mehr, sie sind jetzt schon viele Jahre tot, und ich kann sie gut dort belassen. Das ist keine Undankbarkeit, sondern ich weiß, dass mein Weg ein ganz anderer ist und für sie immer unverständlich geblieben ist. 


Nicht das letzte Wort...

Der Abbruch und die Stärkung des Abstands zu den Toten kann auch wichtig sein, er ist vielleicht und hoffentlich nicht das letzte Wort, aber es kann wichtig sein, ihn zu vollziehen. Missbrauchstäter dürfen aus dem Leben geworfen werden. Abschiedsrituale, wo man sich von Toten bewusst abwendet, können sehr richtig im Rahmen einer Heilungsarbeit sein. Doch um wirklich geheilt zu werden, wird es dann irgendwann wichtig sein einzusehen, dass man niemanden aus dem Leben werfen kann, sondern eine Form finden muss, ihm oder ihr als Teil der Lebensgeschichte einen passenden Platz zuzuweisen. Aber das sind vermutlich Extremsituationen. Fühle dich vielmehr ermutigt zu experimentieren und deine Form zu finden, wenn du das möchtest. Und wenn du darauf achtest, ob es sich gut, stärkend und hilfreich anfühlt, dann ist es doch ein guter Weg, den du gehen kannst. Und vielleicht wirst du ja selber mal jemand, zu dem man spricht, dem man schreibt und an dessen Geburtstag jemand eine Kerze anzündet, obwohl er oder sie dich nie persönlich kennengelernt hat. Dann sei ein guter Begleiter, eine liebende Beschützerin und gib, was du nur kannst - aber ehrlich gesagt, das muss man dir dann nicht mehr sagen. Wenn wir heimgekehrt sind zu Gott, dann können wir unendlich geben, ohne die Angst zu haben, zu verlieren. So ist das im Paradies, in Gott.

korrigiertes Transskript


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