Wenn ein neues Jahr beginnt, ganz egal, ob es sich um ein neues Lebensjahr oder ein neues Kalenderjahr handelt, dann kann es passieren, dass wir uns etwas vornehmen. Solche Zeiten und Augenblicke scheinen wie dafür gemacht zu sein, eine Veränderung im Leben vorzunehmen. Manchmal braucht es halt einen Augenblick mit besonderer Bedeutung, damit ich etwas beginne.
Und da bieten sich ja viele Dinge an, mit denen ich beginnen oder aber aufhören möchte.
Manche möchten weniger wiegen, weniger trinken, nicht mehr rauchen, mehr Sport treiben, zu meditieren beginnen, wollen eine bessere Struktur des Tages, früher aufstehen, mehr Entspannung, weniger Stress. Ach, es gibt so viel, was wir uns wünschen, so viel, was wir gerne verändert hätten.
Kennst Du das?
Und dann beginnen wir einen Vorsatz zu fassen, wir beschließen, von nun an zum Beispiel jeden Tag zu meditieren. Ja, das klingt gut und das habe ich ja auch schon so lange vor. Im letzten Meditationskurs wurde es empfohlen und in dem Buch, das ich neulich las, stand es auch, dass man jeden Tag meditieren sollte. Also, gut ab jetzt, jeden Tag 15 Minuten morgens, bevor ich frühstücke. Ja, das klingt gut.
Und dann fühlt man sich auch gleich irgendwie gut, als Held oder Heldin des eigenen Lebens. Mit geschwellter Brust beginnt man dann am ersten Tag und es klappt gut, sehr gut sogar. Es scheint also zu funktionieren, der zweite Tag ist auch gut und der dritte, na ja, etwas weniger, aber das stand ja auch in dem Buch, dass man unterschiedliche Erfahrungen machen wird.
Und der vierte Tage, ja, da kam etwas dazwischen und am fünften Tag habe ich es vergessen, am sechsten Tag klappte es dann wieder, war aber langweilig und dann war Wochenende und irgendwann muss man ja mal ausschlafen. Und dann blieb es dabei.
Du kannst ganz unterschiedliche Veränderungswünsche einsetzen, es funktioniert fast immer so.
Aber warum?
Weil solche Vorhaben meistens aus unserem Über-Ich kommen und damit versteckte Kritik an mir selber beinhalten. Und hinter Wünschen des Über-Ichs steckt immer ein “Du musst” und “Du sollst” – nichts, was wir gerne hören, oder?
Warum Vorsätze nicht funktionieren
Solche Vorhaben haben nämlich eine Schwäche, sie fühlen sich nicht wirklich gut an. Ja, klar, wenn wir unser Vorhaben gefasst haben, dann spüren wir den Stolz des geplanten Unternehmens. Aber das Ziel selber fühlt sich nicht gut an. Du wirst die Pflicht und die Mühe wahrnehmen, wenn Du beginnst Dein und Vorhaben zu spüren.
Und damit ist das Vorhaben schon zum Scheitern verurteilt. Denn solche Ziele kannst Du nur mit ganz viel innerem Druck durchsetzen. Manchen gelingt das, aber angenehm ist das nicht.
Über-Ich-Ziele kommen letztlich aus dem Ego. Wir haben ein Bild, wie wir gerne sein würden, vielleicht spiritueller, schlanker oder sportlicher und anhand dieses Bildes planen wir unsere Zukunft.
Aber solche Bilder sind nicht gut, helfen nicht und führen Dich nur in die Irre. Du solltest Dein Leben nicht nach solchen Bildern ausrichten.
Nun, ich möchte Dir hier keine Anleitung bieten, wie Du gute Vorsätze treffen kannst. Aber das eine solltest Du Dir merken: Ziele müssen sich richtig gut anfühlen, damit Du sie auch mit leichtem Fuß umsetzt.
Was ich Dir heute empfehlen und nahebringen möchte, ist etwas ganz anderes. Ich möchte Dir zunächst raten, alle Vorsätze über Bord zu werfen und Dein neues Lebensjahr oder das neue Kalenderjahr nicht mit einem Vorsatz zu beginnen.
Was sind denn Nachsätze?
Statt Vorsätze möchte ich Dir nämlich etwas ganz anderes empfehlen: Nachsätze.
Was das ist?
Pass auf, ich erzähle es Dir.
Nachsätze sind Sätze, die ich nicht zu Beginn eines Jahres fasse, sondern zum Ende hin. Es sind abschließende Sätze.
Ich will Dir jetzt aber zunächst einmal kurz erläutern, wie ich auf die Nachsätze gekommen bin.
Ich bin ein Mensch, der gerne und viel träumt. Und wie bei jedem Menschen, so ist es auch bei mir, dass ich mal schöne und mal schlechte Träume habe oder Träume, die irgendwie offen geblieben sind. Wenn ich morgens erwache und spüre, dass da ein Traum war, der mich in eine ungute Stimmung gebracht hat oder der etwas offen ließ, was mich noch beschäftigt, dann habe ich es mir zur Angewohnheit gemacht, dass ich den Traum halb bewusst weiter träume. Diesmal aber lenke ich den Traum, und zwar so, dass er gut ausgeht, dass ich vielleicht der Gefahr entrinne und gewinne, dass ich eine Antwort finde, die mir bisher im Traum verwehrt geblieben ist. So kann ich den Traum abschließen und ihm eine für mich hilfreiche Wendung geben.
Das hat sich für mich als ausgesprochen hilfreich erwiesen.
Und im Grunde geht es bei den Nachsätzen um ein gleiches Vorgehen bezogen auf das vergangene Jahr.
Was fehlt Deinem vergangenen Jahr noch?
Es geht darum zu schauen, was dem Jahr noch fehlt, was ich ihm noch geben kann, damit es einigermaßen rund wird.
Vielleicht braucht es einen Segen, ein abschließendes und Sinn stiftendes Wort, eine Zusammenfassung, einen Trost, einen Dank … Was auch immer. Schließe das Jahr ab, gebe es frei, damit es ungehindert in Deine Erinnerung wandern kann, gebe es frei, damit Du frei für das Neue bist.
Das ist meine Empfehlung für Dich.
So würdigst Du die vergangenen Monate und das abgelaufene Jahr, und schenkst der Vergangenheit Deine Achtung und Deinen Respekt. Zugleich kannst Du dafür sorgen, freier in die Zukunft zu blicken und zu gehen.
Ich kann Dir sagen, dass es sich ungemein gut und erfüllend anfühlen kann, wenn Du eine hinter Dir liegende Zeit entlassen kannst. So kann Vergangenheit zu einer Ressource und zu einer Kraftquelle werden.
Ich möchte Dich jetzt und heute einladen, einen solchen Satz – vielleicht sind es auch mehrere Sätze – zu entwickeln und aufzuschreiben.
Kurze Meditation
Ich lade Dich zu einer kleinen Meditation ein.
Schließe dafür die Augen, damit Du Dich besser konzentrieren kannst.
Und nun gönne Dir einen Blick zurück. Gehe jeden einzelnen Monat durch. Was war, was ist geschehen, was ist noch offen geblieben, was ist noch da und macht Dir Kopfzerbrechen oder Bauchschmerzen?
Wo sind noch Leerstellen in Deinem Leben im vergangenen Jahr aufgetaucht?
Vielleicht ist eine Beziehung noch nicht wirklich zu Ende, eine andere hat noch keinen wirklichen Anfang gefunden.
Schau Dir die Bereiche Deines Lebens an.
Arbeit, Familie, Engagement, Freizeit, Spiritualität …
Und nun tritt aus all den Einzelteilen und Fragmenten zurück und schaue auf das Ganze.
Schaue Dir die ganzen Monate und Tage, die ganze hinter Dir liegende Zeit des Jahres an.
Wie wirkt das Jahr auf Dich? Welchen Eindruck macht es.
Wenn das Jahr ein Kapitel Deiner Biografie wäre, welche Überschrift würdest Du wählen?
Und nun gehe noch etwas mehr auf Abstand, sodass Du etwas mehr Distanz zum Jahr hast.
Mit welchem Satz oder mit welchen Worten könntest Du das Jahr abschließen?
Vielleicht gibt es einen Satz, der der zurückliegenden Zeit einen Sinn gibt.
Oder es gibt einen Satz, der all den Mühen und Anstrengungen, dem Ärger und der Wut eine Wertschätzung gibt.
Vielleicht braucht es Deine Liebe und Du möchtest das vergangene Jahr mit in Deine Liebe nehmen.
Und dann schreibe die Sätze und Begriffe auf, damit sie Dir nicht entschwinden.
Und was Du jetzt tun kannst ist Folgendes: Nimm Deinen Satz, Deine Sätze oder Wörter.
Dann stelle Dich hin und verneige Dich vor dem Jahr oder einer besonderen Zeit, zu der Du einen abschließenden Satz aufgeschrieben hast.
Und während Du Dich verneigst, sagst Du Deinen Satz.
Mit diesem kleinen Ritual kannst Du sicherlich einerseits Deine Wertschätzung ausdrücken, aber auch manches in der Vergangenheit lassen.
Dass Du nicht alles so verabschieden kannst, ist sicherlich klar, wir beginnen mit dem neuen Jahr ja keine völlig unabhängige neue Zeit. Aber dennoch ist dies ein Weg, dem Jahr Würdigung und Ruhe zu schenken, Ruhe, damit es dahin gehen kann, wo es sein möchte: In Deine Vergangenheit.