Vier Abgründe im Leben und was du selber tun kannst.

18. Oktober 2025

Du hast Abgründe in dir. Das solltest du wissen – und vielleicht weißt du es auch. Jeder Mensch trägt Abgründe in sich, und viele große Konflikte in dieser Welt haben ihren Ursprung genau dort: in individuellen oder kollektiven Abgründen, die überall existieren. Wir versuchen, sie glattzulegen, zu kaschieren, eine Decke darüber zu werfen, ein wenig Dekoration obendrauf. Doch wie schnell geraten wir in Panik, in totale Irritation? Wie rasch kann uns die Angst überfluten – und jede Lebensdeko hilft plötzlich nicht mehr. All das, womit wir versucht haben, unsere inneren Abgründe zu verdecken, verliert in solchen Momenten seine Wirkung.

Es gibt zwei grundlegende Gefahren im Umgang mit diesen Abgründen. Die erste: Wir lassen uns von dem Schmerz, der dort lebt, verschlingen. Genau davor fürchten wir uns. Dieser Schmerz scheint so groß, dass wir glauben, er werde uns vollständig vereinnahmen, uns die Klarheit rauben, uns handlungsunfähig machen. Die zweite Gefahr besteht darin, alles zu tun, um die eigene Abgründigkeit nicht spüren zu müssen: Ablenkung, Aktivismus, Dauerunterhaltung. Wie viel wird unternommen, damit das, was in der Tiefe schmerzt, nicht fühlbar wird? Wie viel Spaß, Zerstreuung, Aktionismus, wie viel Alkohol oder Marihuana – nur, um dem Schmerz auszuweichen, um nicht verschlungen zu werden?

Aber wir kommen nicht darum herum, an unseren Abgründen zu arbeiten und dranzubleiben. Die meisten begleiten uns ein Leben lang. Es sind Lebensthemen. Immer ist da eine Wunde, etwas Abgründiges. Und je mehr wir versuchen, sie zuzudecken, umso schräger wird es, umso schwieriger, umso mehr Energie erhält genau das, was wir vermeiden wollen. Es hilft nichts – wir müssen uns damit beschäftigen.

Im Folgenden stelle ich dir vier typische Abgründe vor. Du kannst schauen, welche du kennst. Letztlich tragen wir alle ein bisschen von jedem in uns, aber jede und jeder hat Schwerpunkte. Auch ich. Ich erkläre einiges aus meiner eigenen Erfahrung, aus meiner eigenen Abgründigkeit. Ich habe tiefe Abgründe in mir.


1. Der Abgrund der Ablehnung

Die Grundbotschaft, die wir hier in uns tragen, lautet: Ich bin nicht gewollt.
Ich selbst wurde in eine Familiensituation hineingeboren, in der bereits fünf Kinder da waren. Meine Eltern waren für einen Säugling schon relativ alt, beide Mitte 40. Natürlich freut man sich offiziell über ein Kind – aber innerlich mag der Gedanke mitschwingen: Ist das nicht etwas viel? Wieder schlaflose Nächte, all das noch einmal. Wer wollte es ihnen verdenken? Ich glaube, dass das in mir den Eindruck hinterlassen hat, nicht gewollt zu sein.

Das kann sich in vielen Situationen zeigen: Unsicherheit im Kontakt mit anderen, ein schnelles Missverstehen, das Gefühl von Zurückweisung, wo andere nur Kritik sehen. Für dich ist es Ablehnung – und es stürzt dich ins Bodenlose. Überall dort, wo uns der Boden unter den Füßen weggezogen wird, sprechen wir von einem Abgrund. Die Suche nach Anerkennung, die Angst vor Zurückweisung – all das entspringt diesem Abgrund.


2. Der Abgrund des Verlassenwerdens

Die Botschaft lautet hier: Ich bin allein.
Ich habe das deutlich erlebt, als ich Mitte zwanzig war. Ich wollte anfangen zu studieren und ließ mich dafür von meinem Kloster beurlauben, um mich neu zu orientieren. Ich sollte aus der kleinen Gemeinschaft, in der wir zusammenlebten, in eine Einzelwohnung ziehen. Das hat in mir Panik ausgelöst. Ich hatte große Angst, allein zu sein, mutterseelenallein, verlassen. Nicht mehr in meiner Gemeinschaft, nicht mehr im Tribe, nicht mehr in der Family. Wie ausgestoßen. Ich konnte nicht ausziehen. Für rationale Überlegungen war ich nicht mehr zugänglich – es gab nur den einen Gedanken: Ich darf nicht weg. Zum Glück fand sich später eine andere Lösung, aber das, was ich damals erlebt habe, war abgründig. Da war kein klarer Gedanke, nur die Angst.


3. Der Abgrund der Demütigung

Die Grundbotschaft lautet: Ich bin unwürdig. Ich bin nicht gut genug. Ich darf nicht sein.
Andere werden vorgezogen, ich bin falsch, schlecht. Hier spielt Moral oft eine Rolle: das Gefühl, ein schlechter Mensch zu sein, nicht würdig, etwas zu tun oder dazuzugehören. Es ist ein tiefer Schmerz, ein Gefühl von grundsätzlicher Unzulänglichkeit.


4. Der Abgrund des Verrats

Hier heißt die Botschaft: Ich kann nicht vertrauen.
Überall lauert Verrat. Man weiß nie, ob ein Wort gehalten wird, ob Treue Bestand hat. Man wird misstrauisch, kontrollierend, immer auf der Hut. Und weil Beziehungen vom Vertrauen leben, gehen sie kaputt. Kontrolle, Angst und Sorge zermürben jede Verbindung. Hinter all dem liegen tiefe Unsicherheit, Angst, Zweifel: Ich kann nicht vertrauen. Alle verraten mich.


Was kannst du tun?

Ich kann dir hier keinen Therapieplan bieten, aber es gibt Wege, die dir helfen können.

1. Erdung.
Komm in den Körper. Abgründe ziehen uns – so widersprüchlich das klingt – nach oben, ins Diffuse. Wir verlieren den Boden unter den Füßen. Deshalb ist es so wichtig, dich zu erden: spüren, dass du stehst, Wurzeln in die Erde schlagen, dich mit der Erdkraft verbinden, mit deinem Körper in Kontakt kommen. Das gibt dir wieder Klarheit und Standfestigkeit.

2. Ein Ritual des Bleibens.
Man könnte auch Meditation sagen, aber ich nenne es „Ritual des Bleibens“. Nicht davonlaufen. Nicht weggehen, sondern beim Gefühl bleiben – vor allem beim körperlichen Gefühl von Angst. Wenn es dir gelingt, bei diesem Gefühl zu bleiben, ohne dich verschlingen zu lassen, ist das ein Weg tiefer Heilung. Es braucht Zeit, aber es ist heilsam und kann einen therapeutischen Prozess kraftvoll unterstützen.

Im Kern ist das Kontemplation: Du spürst, du öffnest den Raum für dieses Gefühl und lässt es sein, ohne dich damit zu identifizieren. Vielleicht nur für wenige Sekunden am Anfang, weil es sonst zu viel wäre. Wichtig ist: kein Kopfkino, keine Geschichten, nur das reine Gefühl. Das ist Kontemplation – den Raum öffnen für Gott oder für deine Abgründe.

Eine Spiritualität, die sich den Abgründen nicht gestellt hat, erkennt man sofort: Sie ist zu leicht, zu happy, zu glatt. Ich habe natürlich nichts dagegen, dass Spiritualität leicht oder froh sein darf. Aber wer seine Abgründe nicht erkannt hat, wer flieht oder Spiritualität nutzt, um nichts spüren zu müssen, entwickelt etwas, das zu leicht befunden wird, zu unkompliziert, zu glänzend. Doch das ist nicht der Weg.

Der spirituelle Weg führt durch die Abgründe und von dort ins Licht. Nimm deine Abgründe ernst. Schau hin: Was sind deine? Und versuche, dich mit ihnen anzufreunden, sie mitzunehmen auf deinem spirituellen Weg.
Es ist unglaublich wichtig und wertvoll.


Das könnte Dich auch interessieren

jetzt ansehen
jetzt ansehen
{"email":"Email address invalid","url":"Website address invalid","required":"Required field missing"}

Mein Wille geschehe!

Minikurs vom 30.6. - 4.7.2025 | Kosten: Spendenbasis
Lerne, deinen Willen zu entwickeln, um auf deinem Weg voranzukommen.

Du hast zwei Möglichkeiten, teilzunehmen – ich empfehle die Telegram-Gruppe, weil du vom Austausch sehr profitieren wirst und die Möglichkeit hast, Fragen zu stellen:

>