“Was ist Wahrheit?" Das ist eine der berühmtesten Fragen der Menschheitsgeschichte. Was ist Wahrheit und wie findet man sie? Die Philosophie hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Wahrheit zu untersuchen und zu erforschen. Dabei ist sie immer wieder bis an die Grenzen des eigenen Wegs gegangen. So war es am Anfang des letzten Jahrhunderts so, dass die Philosophie kurz davor war, sich selber abzuschaffen, weil man meinte, dass die Wahrheit nicht zu erkennen ist. Vielmehr verfiel alles zu einer Form des Subjektivismus. Alles ist dann relativ und es gibt nichts, was darüber steht.
Dann erscholl sozusagen in der Philosophenwelt ein Ruf: Zurück zu den Sachen, zurück zu den Dingen. Und man begann wieder nachzudenken, richtig hinzusehen und konnte plötzlich feststellen: wenn ich alle Vorannahmen weglasse, wenn ich mich ganz frei mache und wie ein naiver Beobachter die Dinge betrachte, dann komme ich zu einer Erkenntnis. Die Wahrheit zeigt sich mir, wenn ich frei werde von allen Vorannahmen. Das war die Geburtsstunde der neuen Philosophie und ihre Rettung zugleich.
Wie kommen wir also zur Wahrheit, wie kommen wir zu unserer Wahrheit und wie können wir sie leben?
Spiritualität und Wahrhaftigkeit
Das spirituelle Leben verlangt danach, dass wir wahrhaftig sind, dass wir leben, was wir sagen und dass wir uns und den anderen nichts vormachen.
Spiritualität darf keine Show werden, darf nicht dafür herhalten, nach außen etwas zu zeigen, was ich innerlich gar nicht bin.
Doppelbödigkeit nennt man das oder das Predigen von Essig, während man selber Wein trinkt.
Kaum etwas ist unverzeihlicher als die Lüge im spirituellen Leben.
Und daher ist es wichtig, dass wir lernen hinzuschauen. Damit beginnt der Prozess der Wahrhaftigkeit, dass ich hinschaue, hinhöre und hinspüre. Ich muss auf mein eigenes Leben schauen, damit beginnt es. Ich brauche eine Sicht auf mein Leben, die unverstellt ist. Keine Sicht, die mich immer als großartigen und fantastischen Menschen sieht und auch keine, die mich immer als Versager sieht. Ich brauche eine Sicht auf mich, die so unvoreingenommen wie möglich ist.
Und so muss ich nicht nur mich anschauen, so muss ich auch auf andere schauen und auf diese Welt.
Es braucht dafür eine sehr feine Wahrnehmung. Oft zeigt sich die Lüge nicht direkt, sie drängt sich nicht auf. Oft kann man sie nur spüren. Man spürt dann, da stimmt etwas nicht, hier ist etwas falsch. Bei einem solchen Gespür darf es natürlich nicht bleiben, aber es ist eben oft der Anfang und der Beginn einer Erkundung.
Wahrhaftig leben heißt auch, den Kaiser als nackt zu bezeichnen, wenn er nackt ist und nicht mitzumachen, wenn alle sagen, er trage ein wunderbares Gewand. Sieh hin und erkenne, was wirklich da ist und was wirklich geschieht.
Aber ich möchte in diesem Video natürlich mein Augenmerk auf uns selber richten, auf unsere innere Wahrhaftigkeit.
Wesentlich leben
Und dazu gehört es, dass ich wesentlich lebe. Das heißt, meinem Wesen entsprechend. Dafür aber muss ich mich natürlich genau kennenlernen, ich muss mir selber begegnen, ich werde zu meinem eigenen Forschungsprojekt. Ich erkunde mein Inneres, meine Gedanken und meine Gefühle, meine inneren Bilder und meine Sehnsüchte, um zu erkennen, wer ich bin.
Das ist ein langer Weg, der nie endet, aber wenn er nicht angefangen wird, dann ist der Weg für die Lüge frei, der Weg sich und anderen etwas vorzumachen.
Und so steht am Anfang die Frage: Wer bin ich wirklich? Diese Frage lenkt unseren Blick auf unsere Wesenhaftigkeit, auf unsere Essenz. Was ist also der Kern Deines Wesens, wer bist Du wirklich und wesenhaft?
Das sind keine Fragen, auf die irgendjemand mal eben antworten könnte, sondern Fragen, die man auf sich wirken einlassen muss, die langsam in unser Innerstes einsickern dürfen und dort zu wirken beginnen.
Unsere Kraft in dieser Welt steigt mit dem Grad unserer Wahrhaftigkeit und das Vertrauen, das andere in uns setzen, ist nur dann gegründet, wenn ich wahrhaftig bin.
Dabei sind wir alle zumeist immer beides. Wir sind wahrhaftig und zugleich schleicht sich immer eine Lüge in unser Leben. Daher auch die ständige Suche und der fortlaufende Prozess, den Wahrhaftigkeit benötigt.
Wenn ich nicht wahrhaftig bin, dann kann das zu großen Verletzungen und Enttäuschungen führen. Und in mir führt es dazu, dass ich nicht wirklich reife, dass ich feststecke. Die Lüge verletzt und macht krank – sie ist im Kern selber eine Krankheit.
Umkehr
Und daher rufen uns auch alle spirituellen Meisterinnen und Meister und alle Religionsgründer dazu auf, ehrlich zu sein. Christlich gesprochen nennt man das Umkehr, metanoia – anders denken, nämlich wahrhaftig denken, ehrlich denken.
Dafür muss ich aber gelernt haben, mit mir umzugehen, meine Stimmungen und Launen zu erkennen. Wie schnell bewerten wir etwas aus einer Laune heraus, wie schnell ist unsere Sicht auf uns und unsere Umgebung durch unsere Stimmung getrübt?
Stattdessen müssen wir zu unserem wahren Willen vordringen und das ist meistens nichts, was mit unseren Launen übereinstimmt.
Was will ich wirklich? Und was ist mein Weg?
Die innere Berufung zu entdecken ist der Weg zur eigenen Wahrheit zu kommen.
Wahrhaftig sein und leben heißt übrigens nicht, dass ich alles nach außen kehre, was innerlich vorhanden ist. Es heißt, dass alles, was ich sage und tue, wahr ist, aber es heißt nicht, dass ich alles, was wahr ist, sage und tue. Wahrhaftigkeit und Diskretion vertragen sich gut miteinander.
Was kannst Du tun?
Schauen wir jetzt aber mal, was Du tun kannst, damit Du immer wahrhaftiger wirst. und da gibt es einige ganz hilfreiche Möglichkeiten für Dich.
Nicht lügen
Und es beginnt fast banal, nämlich damit, die Wahrheit zu sagen. Sag, was wahr ist – sag es natürlich möglichst so, dass man es gut hören und annehmen kann. Die Wahrheit zu sagen, ist nicht leicht. Dazu gehört der Mut, sich gegen den Trend zu stellen, den Mut vielleicht zu kränken oder aber den Mut über den eigenen Schatten zu springen, und mich zu trauen, etwas Gutes zu sagen.
Beschreiben statt Urteilen
Beginne immer mehr zu beschreiben statt zu bewerten. Ich hatte ja schon zu Beginn von der Philosophie berichtet. Zurück zu den Dingen hieß und das heißt auch, raus aus meinem alltäglichen Delirium und wirklich in Kontakt mit der Wirklichkeit um mich herum gehen. Sieh wirklich hin. Beginne mehr zu beschreiben als zu beurteilen. Diesen Fehler machen viele. Beschreibe das, was Du wahrnimmst und Du bist schon auf dem Weg der Wahrhaftigkeit. Unsere Wahrnehmung kann auch getrübt sein, aber viel weniger als unsere Urteile. Sie sind zumeist ein Produkt vieler Vorannahmen, die wir gar nicht mehr kennen.
Löse dich von allen Ismen
Mein nächster wichtiger Hinweis ist folgender:
Verzichte auf alle Ideologien und alle Ismen und mache aus nichts eine Ideologie. Gerade Religion ist oft zu einer Ideologie verkommen, zu einer reinen Lehre. Aber Ismen wie Katholizismus, Protestantismus, Liberalismus, Kommunismus - sie haben die Angewohnheit, Dinge auszublenden und nicht mehr zu sehen. Mit einer Ideologie blendest Du einen Teil der Wirklichkeit aus und siehst die Wirklichkeit durch eine getrübte Brille. Ideologien beinhalten immer die Lüge und sind für sich nie wahrhaftig.
Achte auf Deine Werte
Stattdessen werde Dir Deiner Werte bewusst und halte Dich daran. Das, was Dir wirklich wichtig ist, wofür Du stehst, das solltest Du wissen, damit Du so leben kannst.
Natürlich gehört zur Wahrhaftigkeit auch, dass wir nicht immer unsere Werte leben können und es gehört auch zur Wahrhaftigkeit, dass wir nicht immer wahrhaftig sein können. Auch das sollten wir bedenken, damit wir aus Wahrhaftigkeit nicht auch noch eine neue Ideologie machen.
Mut zum Irrtum
Um wahrhaftig zu leben, brauchst Du den Mut einzusehen, dass Du Dich geirrt hast. Wenn es Dir widerspricht zu sagen, da habe ich etwas falsch gelegen, dann kann es Dir passieren, dass Du eine Lüge von Dir lebst. Gewöhne es Dir an, zuzugeben, wo Du Dich geirrt hast.
Projektionen loslassen
Insgesamt braucht es für ein wahrhaftiges Leben einen großen Reinigungsprozess. Wir müssen unsere Projektionen und Glaubenssätze erkennen und sie loslassen, denn Projektionen lassen uns die Welt nicht sehen, wie sie ist, sondern so, wie wir sind. Sie können einerseits eine Möglichkeit sein, unserer Wahrheit auf die Spur zu kommen und sind zugleich der Weg, die Welt so zu sehen, dass es mir dabei besser geht. Das aber ist nicht wahrhaftig.
Die Lüge ist süß!
Manchmal hat die Lüge einen lieblichen Zauber und die Wahrheit ist oft grob und hart. Das solltest Du wissen, wenn Dir eine Botschaft zu Ohren kommt, die besonders lieblich und reizend ist, dann beginne skeptisch zu werden. Es gibt nichts in dieser Welt zu erringen, was nicht auch Last und Arbeit bedeutet. Alles kostet etwas und hat daher seinen Preis.