Kennst du das? Dieses vage Gefühl einer tiefen Sehnsucht – als ob etwas Wesentliches im Leben fehlt, aber du kannst es nicht genau benennen? Eine unsichtbare Barriere scheint sich zwischen dich und etwas Größeres zu schieben – vielleicht Gott, vielleicht eine tiefere spirituelle Erfahrung, vielleicht einfach ein umfassenderes Verständnis des Lebens und deiner Rolle darin.
Viele Menschen in unserer modernen, westlichen Welt spüren diese eigentümliche Distanz. Es ist oft keine bewusste Ablehnung von Spiritualität oder Transzendenz, sondern eher ein inneres… Nichts. Kein spürbares Gefühl, keine intuitive Resonanz, wenn von Gott oder höheren Dimensionen die Rede ist. Transzendenz? Ein interessanter philosophischer Begriff – aber relevant für meinen konkreten Alltag? Eher nicht.
Warum ist das so? Diese grundlegende Frage beschäftigt mich seit Langem. Heute möchte ich einige meiner tiefsten Gedanken und Beobachtungen dazu mit dir teilen.
1. Der stille Rückzug des Göttlichen – und eine überraschende These
Die wachsende Zahl an Menschen, die keinen emotionalen Zugang mehr zu Gott oder spiritueller Tiefe spüren, beunruhigt mich. Es handelt sich nicht primär um ein rationales „Ich glaube nicht“, sondern um ein tief verwurzeltes „Ich spüre nichts“. Genau diese Leere macht es spirituellen und religiösen Traditionen zunehmend schwer, überhaupt noch Resonanzräume zu finden.
Meine zentrale These dazu ist vielleicht überraschend:
Gott macht Stress.
Zumindest unbewusst. Und zwar in unserer heutigen westlichen Kultur.
Aber sollte es nicht genau umgekehrt sein? Sollten Momente der Transzendenz uns nicht gerade Ruhe, Vertrauen, Weite und ein tiefes Gefühl von Sinn schenken?
In meinem eigenen Leben erlebe ich das tatsächlich so – in kontemplativen Zeiten, in der Stille, im Gebet. Doch die Erfahrung vieler anderer Menschen scheint eine ganz andere zu sein: Sie finden das Gefühl von Erfüllung in rein innerweltlichen Bereichen – in der Arbeit, in Beziehungen, in Hobbys. Sie brauchen dafür keinen Gott.
Und anstatt zu sagen: „Ihr habt die Tiefe eben noch nicht erkannt“, halte ich es für wichtig, genau hinzuhören. Denn gerade dieses besserwisserische Narrativ – über Jahrhunderte von Religionen kultiviert – hat einen immensen Anteil an der heutigen Ablehnung. Menschen wollen nicht mehr gesagt bekommen, was sie fühlen oder suchen sollten. Zu Recht.
2. Die subtilen Wege, wie Transzendenz zum Stressfaktor wird
Wie also manifestiert sich dieser unbewusste Stress, den viele empfinden, wenn von „Gott“ die Rede ist?
Transzendenz bedeutet ja: Es gibt eine Wirklichkeit, die über das Sichtbare hinausgeht – und doch hier und jetzt gegenwärtig ist. Für viele klingt das nach einem kognitiven Spagat, nach einer überkomplexen Idee, die keinen Platz in ihrem Alltag hat.
In einer Welt, in der Technologie, Wissenschaft und Selbstoptimierung dominieren, scheint der Gedanke an etwas „Höheres“ überflüssig. Viele leben nach dem Motto: Ich bin meines Glückes Schmied. Die Notwendigkeit eines transzendenten Bezugsrahmens wird nicht mehr empfunden.
Sinn entsteht im Hier und Jetzt – im sozialen Engagement, in erfüllenden Beziehungen, im kreativen Ausdruck. Und die Religionen? Sie scheinen mit ihren traditionellen Sinnangeboten einfach nicht mehr durchzudringen.
Auch die Kirchen – trotz all ihrer Reformbemühungen – spüren das. Es geht nicht nur um Struktur oder Moral. Das Kernproblem ist tiefer:
Die direkte, persönliche und emotional berührende Wahrnehmung von Transzendenz fehlt.
Selbst spirituelle Angebote, die nicht konfessionell gebunden sind, stoßen auf dieses Dilemma: Immer weniger Menschen empfinden innere Resonanz mit dem, was einst selbstverständlich als „heilig“ galt.
Stattdessen finden viele Menschen ihre Ruhe und Selbstfindung in Wellnessangeboten, Coachingformaten oder durch Podcasts über Achtsamkeit. Die spirituelle Sehnsucht wird in säkularen Formen gelebt – ganz ohne „Gott“.
3. Psychologische Blockaden – Wenn Mikrotraumata uns von Transzendenz trennen
Doch ich glaube nicht, dass es sich nur um eine bewusste, rationale Entscheidung gegen Religion handelt.
Ich bin überzeugt:
Es gibt unbewusste psychologische Blockaden, die unsere spirituelle Wahrnehmung verschließen.
Tief in uns wohnt das intuitive Empfinden, mit etwas Größerem verbunden zu sein. Diese Erfahrung gehört zum Menschsein. Und viele suchen sie – in ihrer persönlichen Entwicklung, in der Kunst, in der Natur, in der Stille.
Aber oft gibt es da ein kaum greifbares inneres Zögern. Eine unsichtbare Handbremse. Ich kenne das aus meiner eigenen Meditation und meinem Gebet: Ein feiner Widerstand, der mich hindert, mich ganz einzulassen. Eine Art unbewusster Schutzmechanismus.
Ich nenne das: spirituelle Mikrotraumata – kleine, oft unbemerkte Prägungen, die uns beigebracht haben, uns von Transzendenz fernzuhalten. Vielleicht war da ein Gott, der Angst machte. Oder eine religiöse Umgebung, die beschämte oder entwürdigte. Vielleicht war es nur das Gefühl, mit spirituellen Fragen allein zu sein.
Was auch immer die Ursache ist: Die Folgen sind real. Und sie führen dazu, dass wir spirituelle Tiefe nicht mehr zulassen können – selbst wenn wir uns danach sehnen.
Fazit: Wir brauchen eine neue Sprache der Tiefe
Ich glaube: Es geht heute nicht darum, Menschen zurück in alte Glaubensmuster zu bringen.
Es geht darum, neue Wege zur Erfahrung von Transzendenz zu eröffnen – jenseits von Dogma, jenseits von Druck, jenseits von religiösem Überlegenheitsgefühl.
Vielleicht müssen wir neue Worte finden. Neue Formen. Neue Rituale.
Vielleicht braucht es weniger Belehrung – und mehr Raum.
Raum für die Stille. Für das Fragen. Für die Sehnsucht.
Und für das langsame, vorsichtige Wiederentdecken einer inneren Welt, die vielleicht doch noch offen ist – für das Heilige.
Danke fürs Lesen.
Wenn dich diese Gedanken berührt haben, freue ich mich über deine Reflexion in den Kommentaren.
Oder über das einfache stille Gefühl: Ja, genau das habe ich auch schon mal gespürt.