Wie der Glaube in den Körper kommt

2. August 2022

Es ist doch erstaunlich, dass der Körper im Christentum eine so geringe Rolle spielt, findest du nicht? Da sprechen wir von leiblicher Auferstehung, von Blut und Leib Christi, vom mystischen Leib Christi und wenn es dann wirklich um den Körper geht, dann werden wir kleinlaut, einsilbig und können uns gerade noch auf eine Kniebeuge oder das Stehen einigen. Ansonsten ist Fehlanzeige. Das Christentum hat lange Zeit den Körper völlig vernachlässigt. Und nicht nur das, er galt als schlecht, wurde abgewertet und als teuflisch angesehen.


Augustinus und der Körper

Das haben wir unter anderem Augustinus zu verdanken, dieser rhetorisch sehr begabte Mann hat uns vieles beschert und eines davon war die feindliche Einstellung des Körpers. Augustinus hat für das Christentum den Neuplatonismus entdecke und integriert. In dieser philosophischen Richtung geht man davon aus, dass sich alles aus einem Einen heraus ergossen hat, und zwar stufenweise. Das heißt, dass sich das Viele aus dem Einen heraus  ergab. Und je weiter man in dieser Kette ging, umso mehr war man von dem Einen entfernt.

Demnach ist der Mensch auch ein Wesen, dass aus diesem Einen, man könnte es auch Gott nennen, hervorging. Der Körper, war sozusagen eine Stufe darunter und daher von dem Einen, oder eben Gott, weiter entfernt. Und daher war der Körper schlecht, denn wenn man sich dem Körperlichen zuwandte, dann wurde man insofern unrein, als wir weniger von Gott oder dem Einen in uns haben.

Und so begann die ganze Misere, die uns bis heute verfolgt.

In der Reformation wurde das ganze leider auch nicht besser. Denn das, was es an leiblichen Ausdruck des Glaubens gab, das Wenige wurde auch noch eliminiert. Kreuzzeichen, Kniebeuge, das Knien, selbst die Verneigung waren für die Gläubigen der Reformation kein legitimes Ausdrucksmittel mehr. 


Der Körper in anderen Religionen

Gerne wird an einer solchen Stelle der Hinduismus angeführt, der ja das allen bekannte Yoga entwickelt hat. Aber auch Yoga wurde zeitweise dazu genutzt, nicht den Körper zu ehren und zu nutzen, sondern vom Körper loszukommen, den Geist vom Körper zu befreien.

Trotzdem können wir sagen, dass Yoga oder Tai-Chi Möglichkeiten sind und aufzeigen, wie wichtig und gut es ist, den Körper zu integrieren.


Warum ist der Körper wichtig?

Vielleicht klingt es jetzt für Dich logisch, wie wichtig der Körper ist. Ich will dennoch einmal die Frage stellen, warum denn der Körper für unseren Glauben und unsere Spiritualität wichtig ist, warum sollen wir ihn nutzen und integrieren?

Zunächst drückt der Körper Bewusstsein aus. Über den Körper kommen wir in ein klares und stabiles Bewusstsein von uns selbst. Wenn Du Deinen Körper nicht spürst, dann fehlt Dir etwas Wesentliches an dem Bewusstsein von Dir selbst. Das aber ist wichtig, um in dieser Welt Gott zu verwirklichen.

Wenn ich zudem meinen Glauben in meinem Körper verankere, dann ist er nicht nur ein gedankliches Konstrukt, eine Idee oder ein inneres Bild. Dann wird der Glaube Fleisch und ich habe eine stabile Basis. Das ist ja gerade die Bedeutung einer Kniebeuge, eines Kreuzzeichens, sie helfen mir in schwierigen Zeiten einen Ausdruck zu geben, sie helfen, dass ich meine Haltung selber verkörpere.


Körper und Krisenzeiten

Denn gerade in schwierigen Zeiten ist es wichtig, dass ich auf meine Ressourcen zurückgreifen kann und das kann ich vor allem dann, wenn ich diese in meinem Körper verankert habe. Wenn ich Mitgefühl nicht nur denke, sondern wenn es auch einen Ort in meinem Körper dafür gibt, dann ist es leichter auch in schwierigen Zeiten Mitgefühl zu zeigen.

In der Traumatherapie weiß man beispielsweise, wie sehr solche Erfahrungen sich in unsere Muskulatur festsetzen und mich beeinflussen und hemmen. Daher ist es in einer Traumatherapie auch wichtig, dass der Körper eine Rolle spielen kann, dass die gespeicherte Erregung durch das Trauma abfließen kann und wieder Entspannung einkehrt. Wenn Du Dir das mal umgedreht  vorstellst dann geht es um eine positive Erfahrung, die Du in Deinem Körper speichern kannst und die dich positiv beeinflusst und immer wieder in die Entspannung führst. So bekommst Du eine Ahnung davon, wie sehr uns der Körper unterstützen kann. Deshalb gehört der Glaube auch in den Körper.


Körper und Mystik

Aber es gibt noch einen wichtigen Grund, den Körper mit in Dein Üben und in deine spirituelle Praxis zu integrieren.

Besonders intensive Erfahrungen, Erfahrungen der Erleuchtung, der Gottesnähe sind nur mit dem Geist kaum auszuhalten. Wir können sie nur tragen, wenn wir sie auch halten können. Das Halten aber, das geschieht mit dem Körper. Ansonsten kann es uns umpusten und wir werden quasi unter der Erfahrung erdrückt.

Ich denke, es ist deutlich geworden, dass es wichtig ist, dass wir dem Körper Raum geben in unserem spirituellen Bemühen, dass er ein wunderbarer und geachteter Kanal ist, um spirituelle Erfahrungen zu machen und zu halten.

Was kannst Du also tun?


Übung mit dem Körper

Das Erste, was mir in den Sinn kommt, ist Folgendes. Mache es Dir zur Gewohnheit, besonders intensive Erfahrungen immer auch körperlich wahrzunehmen. Wenn Du plötzlich berührt bist, wenn Dich ein Lichtstrahl im Wald erreicht und Du nimmst plötzlich die Nähe Gottes wahr, dann spüre das in Deinem Körper, spüre die Nähe Gottes in Deinen Knochen, Muskeln und Adern und auf der Haut.

Und Du kannst noch weiter gehen. Du kannst für diese Erfahrungen entweder einen Ort in Deinem Körper bestimmen oder eine Geste entwickeln, die dich immer wieder mit dieser Erfahrung verbindet. Das ist eine sehr schöne Möglichkeit, körperlicher zu glauben.

Und natürlich sind Yoga und Tai-Chi gute Möglichkeiten. Überhaupt sind langsame Bewegungen in Stille, ganz bewusst vollzogen und vielleicht mit einem inneren Bild verbunden, ganz hervorragende Formen, mit denen Du an deiner spirituellen Weiterentwicklung arbeiten kannst. Du musst dafür keinen Yoga-Kurs besuchen oder zum Tai-Chi in den Park gehen. Es reicht einfach die Hände langsam und ganz bewusst zu heben und wieder zu senken, ganz fließend und leicht und Dir dazu ein passendes inneres Bild suchen.


Gesten des Gebets

Aber ich möchte Dich auch ermutigen, dir die klassischen Gebetsgesten wieder anzueignen oder sie zumindest zu versuchen, um sie in die Erfahrung zu holen.

Das Knien kann eine sehr schöne Möglichkeit sein, sich vor dem Größeren zu begeben, das Größere, das wir Gott nennen, durch mein Knien anzuerkennen, es zu würdigen und zu achten.

Ähnlich ist es mit der Kniebeuge, die ja etwas punktueller ist.

Oder Du versuchst mit den Händen eine große Schale zu bilden, wie ein Priester in der Gebetshaltung. Diese sogenannte Orante-Haltung ist die Haltung der Offenheit, der Empfangsbereitschaft. Hier bin ich, ich bin bereit zu nehmen, was kommt.

Die Verneigung ist für die meisten Kirchenbesucher ungewöhnlich, aber ich habe sie in den ersten Jahren meines Klosterlebens sehr zu schätzen gelernt. Auch hier Achtung, Wertschätzung. Bei der Verneigung zeige ich meinem Gegenüber eine meiner verletzlichsten Stellen am Körper, die Oberseite meines Kopfes und zeige, dass ich nicht kämpfen will, dass ich kein Gegner bin, sondern mit Achtung hinzutrete.

Und schließlich noch die Prostratio, das hinlegen, ausgestreckt vor einer Ikone oder einem Bild, das mir viel bedeutet. Es zeigt mir, dass ich mich ganz hingebe, dass ich bereit bin und allen Widerstand aufgebe.

Versuche es einfach mal und mache Deine Erfahrungen damit, wie es Dir damit ergeht. Manche dieser Gesten muss man mehrmals machen, damit sie eine innere Wirkung haben. 

Aber auf alle Fälle möchte ich Dich sehr ermutigen, den Körper mehr hineinzunehmen in Deine Spiritualität.

Wie immer freue ich mich über Deine Fragen und Anmerkungen. Nutze dafür einfach die Kommentarfunktion.


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