Wie Spiritualität bei einem Trauma helfen kann

8. April 2023

Am heutigen Tag, an dem ich dieses Video veröffentliche ist Karsamstag. Ein besonderer Tag zwischen Ostern und Karfreitag, still und leise schenkt er Zeit, nachzudenken.

Für mich ist das Christentum ja eine Traumareligion. Der Tod Jesu am Kreuz war für ihn wie für alle seine Jüngerinnen und Jünger ganz gewiss eine hochgradig traumatische Erfahrung. Wie könnte es auch anders sein.

Und so gesellen sich all die Protagonisten der Passion ein in die Reihe derjenigen, die von einem Trauma in ihrem Leben betroffen sind und waren.


Ein Trauma kann auch helfen

Wenn wir von Trauma sprechen, dann sprechen wir natürlich zunächst von etwas, das schlimm ist, eine extreme Belastung, eine Gefahr, eine Verletzung, Todesbedrohung und was nicht alles noch passieren kann im Leben, was zu einem Trauma führt. Doch ich möchte zu Beginn gleich noch einen Aspekt oder ein Puzzle-Teil hinzufügen, den ich beachtenswert finde. Denn ein Trauma kann bei aller Belastung auch etwas Gutes bewirken. Denn ein Trauma kann Dich auch öffnen, kann Dich für das Spirituelle öffnen, für Gott. Das ist nicht selten, dass Menschen gerade über so einschneidende Erfahrungen hin zu einem spirituellen Leben gelangen. Und das ist wichtig zu bedenken, wenn wir über ein Trauma sprechen.

Wie aber kann jetzt Spiritualität allgemein helfen, ein Trauma zu verarbeiten, wie kann es Stabilität und Sicherheit vermitteln, damit jemand wieder festen Boden unter den Füßen bekommt?


Sinn und Bedeutung

Eine der wichtigsten Aufgaben und Geschenke der Spiritualität ist die, dass sie unserem Leben Sinn und Bedeutung verleihen kann. Wenn all die Teile und Aspekte meines Leben einfach so nebeneinander liegen, wenn ich nichts darin erkenne, was dem Ganzen eine Bedeutung schenkt, dann wird es fast aussichtslos, das alles ins Leben zu integrieren. Wenn ich hingegen erkenne, dass eine größere Bewegung hinter allem steht, wenn ich sehe, dass das Schlimme auch zu etwas Gutem geführt hat, dann geht es mir gleich besser, ich kann aufatmen und spüre Erleichterung. Viktor Frankl stellte sich im Konzentrationslager immer wieder vor, wie er in einem Hörsaal steht und den Zuhörenden von seinen Erfahrungen berichtet. Er wollte allen vom KZ berichten, was man mit ihnen getan hat, welches Leid entstand. Diese Vorstellung gab all seinem Leid einen tieferen Sinn, half ihm, seinen Überlebenswillen nicht zu verlieren und die schlimme Zeit zu überstehen.

Aber auch rückwirkend kann Sinnhaftigkeit helfen, ein Trauma zu verarbeiten. Spiritualität ist nun gerade die Haltung zum Leben, die uns hilft, solche Sinnspuren zu entdecken. Was übrigens nicht gleichzusetzen ist mit einer Art Entschuldigung für die Täter – die Schuld bleibt und wird dadurch nicht geschmälert. Aber im eigenen Leben kann sich dennoch eine Sinnhaftigkeit zeigen, die allem einen einigermaßen guten Rahmen schenkt.

Im Mittelalter war das Bild Jesu am Kreuz beispielsweise eine große Hilfe, um das eigene Leiden anzunehmen und ihm einen Sinn zu geben. Menschen spürten durch den Anblick  des Kreuzes eine göttliche Solidarität und eine Verheißung für ein Leben nach dem Tod.Sinnstiftende innere oder auch äußere Bilder können auch heute noch helfen.


Ruhe und Entspannung

Eine traumatische Erfahrung führt immer zu einer Übererregung des Körpers und des Nervensystems. Denn Trauma ist ja im Kern eine starke Überforderung und das zeigt sich auch in unserem Nervensystem und gerade dort. Viele Verspannungen sind vermutlich auf solche Erfahrungen zurückzuführen.Spirituelle Übungen insbesondere aus der kontemplativen Tradition können dabei eine Hilfe sein, um wieder Ruhe zu finden. Gerade Yoga oder Meditation sind Formen, die uns dabei helfen können, diese Übererregung herunterzuregulieren und wieder ins Gleichgewicht zu finden. Bei der Meditation üben wir zugleich das Loslassen von inneren Bildern und die Desidentifikation mit Gedanken. Traumatisierte Menschen haben oft mit solchen inneren Bildern und Gedanken zu tun, die belasten, abwerten oder beschimpfen. Wenn ich also lerne, diese Gedanken und Bilder zwar zu haben, mich aber damit nicht mehr verbinde, dann geht es mir dauerhaft besser.


Kontakt zum Leben wiederfinden

Was sehr oft durch Traumata geschieht, ist die Distanz zum eigenen Leben. Man hat einfach nicht mehr das Gefühl, im eigenen Leben zu stehen und sich damit verbunden zu haben. Viele befinden sich wie in einer Blase und kommen so gar nicht an das heran, was man vielleicht wirkliches Leben nennen kann. Dazu gehören so schöne Elemente wie Freude, Lust, Dankbarkeit, Hingabe und Berührtheit. Das alles zu spüren, dafür muss ich in Kontakt gehen oder bereit sein, dass das Leben, vielleicht durch einen anderen Menschen, auf mich zukommt. 

Traumata aber bringen mich dazu, mich zu schützen, was ja grundsätzlich gut und richtig ist. Doch wenn ich dabei bleibe, mich zu schützen, selbst dann, wenn keine Bedrohung besteht, dann grenze ich mich auch von dem ab, was mich nährt und mir geschenkt werden will vom Leben oder von Menschen, die mir wichtig sind.

Wer den spirituellen Weg geht, der wird lernen, sich wieder auf das Leben einzulassen, wieder in das Vertrauen zu wachsen. Es geht darum, um es bildlich auszudrücken, das Boot zu verlassen und den Fuß auf den See zu stellen und darauf zu vertrauen, dass er trägt. Das ist nicht leicht und oft ein langer und großer Weg. Aber Spiritualität kann unglaublich dabei unterstützen, dem See wieder zu vertrauen und dann erste Schritte zu gehen.Um es konkreter zu sagen, geht  es darum, mich auf mein Leben wieder einzulassen, es wieder in mich aufzunehmen oder in mir zu entdecken und zu genießen. Es geht darum, langsam wieder die Hände und Arme zu lösen, mit denen ich mich selbst noch festgehalten habe, um mich zu schützen. Erst dann kann ich wieder lernen, dass das Leben es doch gut mit mir meint und dass es nicht immer notwendig ist, sich zu schützen oder zu verstecken.

Es ist der Weg zurück zur Ganzheit des Lebens und des Seins. Beim kontemplativen Zeichnen beginnt der Idealprozess mit einem Kreis und mündet in einen Kreis. Er ist Ausdruck für die Ganzheit und für das Eine. Für mich ist der Kreis auch Ausdruck für Gott. Gott ist das Eine und das alles Umfassende und alles Durchdringende und das Leben selber. Und wenn ich das annehme und in mich aufnehme, dann kann ich einen Weg beginnen, mich wieder als Teil dieser Einheit zu sehen und mich wieder als Ganzheit zu erfahren.


Raum der Schutzes

Ich hatte zu Beginn ja gesagt, dass das Christentum für mich eine Traumareligion ist. Das hat für mich auch damit zu tun, wie oft Jesus vom Himmelreich sprach. Traumatisierte Menschen imaginieren sich gerne in ein anderes Land, eine andere Welt, in die Vergangenheit oder eine fiktive Zukunft. Mir scheint, dass das Himmelreich im Neuen Testament auch oft eine solche Funktion haben könnte. Offenbar tut es uns gut, einen solchen Ort zu kennen und uns in Gedanken dahin zu bringen. Dort sind wir unangreifbar, unbesiegbar, unverletzlich und absolut sicher. Es ist ein Gottes-Raum, in dem der Mensch keine Macht hat. Und wenn ich ein gutes und konstruktiv-aufbauendes Bild von Gott habe, dann wird ein solcher Raum mir gut tun und mir helfen zu heilen. Wenn Jesus diesen Raum benennt, dann ist das aber kein psychologischer Trick, keine Idee von einem Psychotherapeuten, seine Patienten zu stabilisieren. Wenn Jesus davon spricht, dann ist dieser Raum eben nicht nur imaginiert, ist kein Produkt seiner Phantasie. Dieser Raum ist real und er steht mir und er steht Dir zur Verfügung.

Zugegeben kann es ein langer Weg sein, bis wir diesen Raum beginnen wirklich zu spüren und als real zu erleben. Vielleicht ist es daher zu Beginn völlig okay, wenn wir uns diesen Raum einfach vorstellen und so Schritt für Schritt in die Verwirklichung in unser Erleben hineinwachsen.


Weite der unsichtbare Welt

Mir fällt ein Mann ein, der selber ein großes Trauma erlebt, aber nicht überlebt hat. Ich muss an Dietrich Bonhoeffer denken, der in Berlin-Sachsenhausen im Gefängnis erhängt wurde. Und wenn wir heute seinen berühmten Text hören und uns das Thema Trauma vergegenwärtigen, dann erkennen wir, wie Bonhoeffer sich durch diesen Text selber in die Vertrautheit Gottes gebracht hat.

Von guten Mächten treu und still umgeben,
behütet und getröstet wunderbar,
so will ich diese Tage mit euch leben
und mit euch gehen in ein neues Jahr.

Wenn sich die Stille nun tief um uns breitet,
so lass uns hören jenen vollen Klang
der Welt, die unsichtbar sich um uns weitet,
all deiner Kinder hohen Lobgesang.

Diese unsichtbare Welt, die sich um uns breitet, in der wir uns bewegen und sind, diese Welt zu entdecken, ist gewiss eines der tiefsten Momente eines Lebens und eine unglaubliche Unterstützung und Hilfe im Leben hier auf Erden.

Und im Singen oder Sprechen solcher und ähnlicher Texte kann sich das tiefe Gefühl des Getragenseins von Gott ausbreiten. Und das kann eine sehr große Hilfe und Unterstützung auf dem Weg sein.

Und das Getragensein ist eigentlich auch nur der Anfang von einem Prozess, an dessen Ende steht, von Gott genährt zu werden, die Fülle des Daseins von Gott selbst zu bekommen und in diese Begegnung alles Leben hineinzugeben.

Das ist dann Hingabe und letztlich Heilung des Traumas, weil es das ist, was ein traumatisierter Menschen oft nicht kann, weil er oder sie sich schützen muss:Die Kontrolle über das eigene Leben abzugeben, sich mit weit geöffneten Armen in den freien Fall zu begeben. Und es ist dabei gar kein Fall, das ist nur die Angst, die uns das vormacht, es ist ein Sein ganz aus den sprudelnden Quellen göttlichen Seins.


korrigiertes Transskript


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