Wie Spiritualität zu oberflächlich wird

16. Dezember 2023

Die Welt der Spiritualität ist reich und vielfältig, und das ist gut so. Es gibt so viele verschiedene Formen und Wege, sich dem Göttlichen zu nähern, so viel Reichtum und Unterschiede, an denen man sich wirklich erfreuen kann. Und vieles davon ist sehr ernst zu nehmen und kann Menschen helfen, den eigenen Weg zu gestalten und zu finden. Es gibt jedoch überall und auf allen Wegen und bei allen Methoden und Schulen Formen der Spiritualität, die oberflächlich bleiben und auch so oft nach außen hin wirken. Und das Problem an solchen Phänomenen ist, dass sie die Menschen nicht weiterbringen, sondern in einer Form der Unmündigkeit belassen. Es sind vor allem solche Wege, die besonders fröhlich wirken. Die Mitglieder solcher Wege wirken immer so happy, und alles ist dort so leicht und easy. Alle verstehen sich, und der Guru oder die Meisterin hat keine Schwächen und ist nahezu perfekt. Wenn du das erlebst, dann solltest du beginnen, vorsichtig zu werden und dich vielleicht zurückzuziehen. Denn solche Wege führen nicht zu etwas Gutem. Aber es gibt natürlich noch viele andere zu beobachtende Phänomene, die zu einer oberflächlichen Spiritualität führen, und die ich dir in diesem Video vorstellen möchte. Ich finde es sehr wichtig, dass du davon erfährst und darüber Bescheid weißt, damit du dich selber befragen kannst und erkennst, wo du oder Freunde von dir davon betroffen sind.


Folge nicht jedem Trend!

Etwas, das ich oft mit einem Lächeln beobachte, sind die verschiedenen Trends, die es in der spirituellen Szene gibt. Mal ist Channeling ganz oben, dann Zen-Buddhismus, dann sind alle Methoden, die den Körper in den Mittelpunkt rücken, wichtig, dann geht es um Trauma und Spiritualität, Achtsamkeit möchte ich nicht vergessen. Das sind natürlich alles wichtige Themen, doch wenn du von einem Trend zum anderen wechselst, dann wirst du dich doch nie mit einer Sache intensiv beschäftigen und kannst alles nur oberflächlich betrachten. Denn all diese Themen sind im Grunde Themen für ein ganzes Leben. Du kannst jeden Trend nehmen und dich dein ganzes Leben damit beschäftigen, ohne dass du an ein Ende kommst. Es geht nicht darum, möglichst viel zu tun und sich mit möglichst vielen Themen zu beschäftigen. Es geht darum, dass du an einer Stelle auf dem weiten Feld der spirituellen Themen in die Tiefe gehst. Ich habe vor Jahren mich zum Beispiel entschieden, mich mit bestimmten Themen nicht mehr zu beschäftigen. Nicht, weil sie mich nicht interessieren, sondern weil ich nicht alle Themen so intensiv bearbeiten kann, wie ich das möchte. Ich habe mich auf bestimmte Themen konzentriert. Ich beschäftige mich nicht mit Hildegard von Bingen, nicht mit modernen Philosophen oder solchen aus dem 19. Jahrhundert. Ich beschäftige mich nicht mit Thomas von Aquin und nicht mit dem Hinduismus und nur am Rande mit dem Buddhismus. Das alles sind spannende Themen, die mir viel geben könnten. Würde ich sie aber genauso behandeln, wie ich zum Beispiel Meister Eckhart oder den Neuplatonismus behandele, dann würde ich nirgendwo wirklich weiterkommen. Damit etwas nicht oberflächlich bleibt, musst du dich irgendwann entscheiden und Schwerpunkte setzen.


Vom spirituellen Materialismus

Viele in den spirituellen Szenen erliegen einem spirituellen Materialismus. Es geht bei diesem Phänomen darum, möglichst viel zu sammeln, möglichst viele Seminare und Retreats zu belegen, nur bei den besten Lehrern zu lernen und die neuesten Bücher zu kaufen, die gerade erst erschienen sind. Es geht darum, die beste Kleidung zu tragen, die weiten Gewänder, die einen schon von außen als spirituellen Menschen erscheinen lassen. Auch wird der Schwerpunkt auf Techniken gelegt. Man sammelt Übungen und Techniken. Nie ist man gesättigt, immer kann es noch mehr werden, noch besser. Immer wartet man darauf, dass ein noch besserer Lehrer, eine noch hilfreichere Übung kommen, die alle Probleme lösen und endlich zur Erleuchtung führen. Es geht im Grunde nach dem Prinzip: Viel hilft viel. Aber so funktioniert das nicht. Ich habe vor Jahren in einer Übertragung des Buches von Thomas von Kempen "Die Nachfolge Christi" gelesen, man solle auch Bücher lesen, die schon vor Jahren nicht mehr auf dem Markt sind und nicht nur die Bücher, die ganz oben auf der aktuellen Bestsellerliste stehen. Das hatte mich damals sehr beeindruckt, und ich kann das nach meiner Erfahrung auch nur bestätigen. Es muss nicht der neueste Trend sein, die aktuell gehypte Meditationsform, es muss nicht die ideale Meisterin sein. Ja, es gibt Unterschiede, gerade bei den Lehrern, völlig klar. Aber bedenke, zu meinen, von einem zum nächsten wechseln zu müssen, kann hilfreich sein oder eine große Versuchung. Auch gibt es viele, die es einfach übertreiben, auch hier: Viel hilft viel. Es müssen die ganzen harten Retreats sein, die ganz schweren Übungen und die radikalen Meister. Am besten so, dass andere staunen und Respekt haben, was ich mir alles aufbürde und welche tiefen Erfahrungen ich mache, weil ich es so krass mache. Der Weg soll nicht hart sein, damit er hart ist und Kreuze, die man tragen soll, die sucht man sich nicht selber aus.


Dunkelheit und Schmerz gehört dazu

Ein Grundphänomen einer oberflächlichen Spiritualität ist die Ausklammerung von Dunkelheit und Schmerz. Schaue immer nur auf das Positive, werfe deine Schmerzen und dein Leiden einfach auf Jesus oder lass dein Leiden hinter dir, nimm es nicht mit. Das können solche Botschaften sein. Gerne werden auch in Seminarankündigungen Heilungen und Transformation an einem Wochenende versprochen. Es geht alles ganz schnell, und zack, ist man geheilt, ist alles los. Wirf deine Lasten auf Gott und zack, alles wird gut. Und wenn es nicht gut läuft, ja, dann hältst du an etwas fest, dann kannst du nicht loslassen oder vertraust Gott nicht. Also noch mehr loslassen und Vertrauen in Gott trainieren. Der biblische Satz "Wirf deine Last auf den Herrn, er selber wird für dich sorgen" ist natürlich auf einer bestimmten Ebene wahr, aber er ist falsch, wenn er mir hilft, einen Bogen um mein Leid und meine Schmerzen ziehen zu können.

Nein, Spiritualität führt immer durch dein Leid, deinen Schmerz und deine Dunkelheiten. Spiritualität ist ein Transformationsprozess. Und Transformation heißt, dass du auch deinen wunden Punkten gegenüberstehst. Nun gibt es natürlich gerade im Christentum Bestrebungen, ganz in dieser Dunkelheit zu bleiben, auch das ein Phänomen, das man beobachten kann. Ich erinnere mich an Exerzitien, an denen ich teilnahm, wo der Priester erzählte, dass er Gott um ein Kreuz gebeten habe, da er noch nicht genug gelitten hat in seinem Leben. Nein, das ist kein Weg, das ist Anmaßung und eine Form spiritueller Eitelkeit. Man bittet nicht um ein Kreuz oder um ein Leid, als wäre das etwas Erstrebenswertes. Leid ist dafür da, entweder überwunden zu werden oder es zu transzendieren. Aber niemals geht es darum, Leid zu suchen oder darum zu bitten.


Idealisiere deine Meisterin nicht

Schauen wir jetzt einmal verstärkt auf Lehrer, Gurus und Meisterinnen und wie sie von manchen gesehen werden. Hier gibt es gewiss kulturelle Unterschiede, und ich vermute, dass die Art und Weise, mit Lehrern umzugehen, in Indien anders ist als hier und auch anders sein darf. Aber hier bei uns in unserem Kulturkreis haben wir die Erfahrung gemacht, dass Meister irren können, dass sie missbrauchen können, eigene Ziele haben und sich gerne auch mal bereichern. Das trifft bei weitem nicht auf alle zu, aber solche gibt es wirklich – und nicht nur in Kirchen, sondern in allen Szenen. Der tibetische Lama Sogyal Rinpoche, der das berühmte Buch "Das Tibetische Buch vom Leben und vom Sterben" geschrieben hat, ist ein Beispiel für den Missbrauch im tibetischen Buddhismus. Das sind natürlich heftige Überschreitungen. Es beginnt aber schon früher, wo ein Meister sich mit bestimmten Titeln ansprechen lässt und darauf besteht. Klar, kann man machen, aber warum sind ihm solche Titel wichtig. Auch alle Kleidung und alle kahlgeschorenen Köpfe sind natürlich nicht gleich Ausdruck für spirituelle Eitelkeit, aber sie können es sein. Weil man es gerne hat, wenn man auf der Straße angesehen wird? Weil es mich damit meinem Meister so ähnlich macht? Weil ich dann etwas Besonderes bin? Auch das führt nicht zu einer vertieften Spiritualität und ist nicht Ausdruck dafür, sondern es bleibt oberflächlich und kann, wie ich eben beschrieben habe, sogar Menschen verletzen, kränken und daher großen Schaden anrichten. Es ist ein Kinderwunsch zu meinen, es gebe den Menschen, der alles richten kann, der alles weiß und immer alles richtig macht. Und es ist eine Hybris zu meinen, ich als spiritueller Lehrer würde alles wissen und vor allem alles besser wissen. Hier ist Demut eine ganz wichtige Tugend.


Spiritualität wird im Alltag gelebt, nicht auf dem Seminar

Viele erleben nach einem Seminar ein Hochgefühl. Irgendwie hat man es jetzt verstanden, endlich ist alles klar, du hast endlich diese Meditationsform gelernt und kannst es jetzt, jetzt geht es los. Und nach zwei Wochen musst du dann feststellen, dass der ganz normale Alltag stärker ist. Du bist genauso wie vor dem Seminar, und aus der Meditation jeden Tag ist die Meditation vielleicht am Sonntag geworden. Wir erleben oft nach Retreats und Seminaren diese Diskrepanz zwischen der einmaligen und besonderen Erfahrung und dem ganz normalen Alltag. Es gehört daher zu einem guten Seminar dazu, den Menschen zu helfen, die Erfahrung in den eigenen Alltag zu integrieren. Das trifft besonders zu, wenn es sich um Seminare mit mehreren Treffen handelt. Es benötigt Brücken in den Alltag, sonst war die ganze Zeit zwar schön, hat dir aber letztlich nichts gebracht und war daher oberflächlich. Dabei geschieht Vertiefung einer Methode oder einer Erkenntnis immer im Alltag. Jedes Seminar ist nur dafür da, dich auf den Alltag neu einzustimmen und diesen zu wandeln. In der Seminargruppe kann es sein, dass man sich so achtsam, mitfühlend und freundlich gibt, weil es alle so machen. Doch wenn man dann am nächsten Morgen wieder neben dem muffeligen Kollegen im Büro sitzt, dann geht es einem schon wieder ganz anders. Doch Veränderung ist immer Veränderung des Alltags. Und ein Seminar darf keine Blase sein, in der man so ist, wie man gerne wäre. Das ist übrigens der Grund, warum ich so gerne digital arbeite und meine Angebote bisher alle digital waren. Hier findet das Seminar oder der Workshop in deinem Alltag statt. Dort, wo du lebst, und nicht irgendwo in einem wunderschönen Seminarhaus in den Alpen.


Wichtige Grundhaltungen

Kommen wir nun zu den wichtigen Grundhaltungen, die verhindern, dass du spirituell oberflächlich bleibst. Und da möchte ich als erstes das Durchhalten nennen. Bleibe bei einer Sache für längere Zeit. Es kann sein, dass irgendwann der Zeitpunkt gekommen ist, sich etwas Neues zu suchen, aber springe nicht von einem zum nächsten, halte durch und manchmal vielleicht sogar aus. Dazu brauchst du ein gewisses Maß an Entschlusskraft. Entschließe dich für etwas und trage es durch. Sei bereit, dich mit deinen Untiefen, der Dunkelheit in dir und deinen Wunden auseinanderzusetzen. Das ist ein Schlüssel. Es geht nicht darum, sich darin zu suhlen, sondern im Fortschreiten zum Licht zu kommen. Aber du wirst das Licht nicht finden, ohne Dunkelheit durchschritten zu haben. Sei dir bewusst, dass es viele Wege gibt und nicht nur den einen, den du finden musst. Jeder Lehrer und jede Meisterin kann dir etwas beibringen. Das heißt, dass du vielleicht schon angekommen bist, dass du genau dort, wo du stehst, mit genau diesem alten Buch mit dem komischen Titel, dass du mit dieser Meditationsform, zu der keine Bücher mehr geschrieben werden, dass du in deiner ganz normalen Straßenkleidung ganz genau richtig bist. Tue das, was du tust, intensiv, und gehe dort, wo du stehst, in die Tiefe, egal wo du stehst, und du wirst dort ankommen, wo auch alle anderen ankommen werden, die ihrerseits in die Tiefe gehen.

korrigiertes Transskript


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