Abschied vom „lieben Gott“

2. Juli 2022

Um dieses Zitat von Meister Eckhart soll es heute gehen:

Der Mensch soll keinen gedachten Gott haben und
sich damit begnügen, denn wenn der Gedanke vergeht, so
vergeht auch dieser Gott; sondern man soll einen
anwesenden Gott haben, der weit über den Gedanken des
Menschen und aller Geschöpfe ist.


Was will uns dieses Zitat nun wieder sagen, was will Meister Eckhart aus der Ferne des Mittelalters heraus uns zurufen?
Ich möchte ganz basal anfangen und einmal mit Dir überlegen, was denn überhaupt ein gedachter Gott ist, von dem Meister Eckhart spricht und den er ablehnt.


Der gedachte Gott

Ein gedachter Gott ist vor allem ein Konzept von Gott, eine feste Vorstellung oft hoch kompliziert, über das man viele Bücher schreiben kann, die nur wenige verstehen.
Oder es entstehen komplexe Bilder, wie Gott wohnt, wie es im Himmel aussieht, und wer sich mit wem berät. Solche Überlegungen gibt es tatsächlich und sie sind Ausdruck von einer gedachten Form göttlicher Wirklichkeit.
Blaise Pascal hat in seinen Schriften von einem Gott der Philosophen gesprochen und diesen abgelehnt. Vielleicht ist auch das eine Form des gedachten Gottes.
Kein Gott der Hingabe und Liebe, kein Gott der Dich meint und wahrnimmt, sondern ein abstraktes Gesetz, eine komplexe Formel, die weder berührt noch tröstet.


Gott am Kreuz

Sehr gerne wird in kirchlichen Zusammenhängen ein solcher Gott abgelehnt und es wird die Aufmerksamkeit hingelenkt auf einen Gott, der sich ans Kreuz schlagen lässt, der sich in die Geschichte einmischt, der sich opfert. Ob das ein Gegensatz sein muss, glaube ich nicht. Ich glaube auch, dass ein philosophischer Zugang sehr hilfreich sein kann, um das Geheimnis Gottes besser versuchen zu verstehen. Aber dennoch kann man sagen, dass der Gott der Philosophen nicht der Gott ist, für den wir unser Leben ändern, dem wir uns in Liebe verschreiben.
Und da wären wir auch schon bei einem ganz klassischen und gängigen Bild von Gott, als dem lieben Gott. Nicht nur Kindern gegenüber spricht man gerne vom lieben Gott, auch viele Erwachsene sprechen noch so von der letzten Wirklichkeit, aus der wir alle kommen, die uns alle trägt und zu er wir alle wieder heimkehren.
Doch diese Vorstellung vom lieben Gott ist eine naive und kindliche Vorstellung und meines Erachtens selbst für Kinder nicht mehr angemessen. Gott ist nicht lieb! Gott ist nicht artig! Das sind unreife Beschreibungen, die uns letztlich in die Irre führen und unseren Glauben von innen her erodieren lassen.
Das alles also können wir unter dem gedachten Gott zusammenfassen und gerne zusammen mit Meister Eckhart ablehnen. Denn all das sind Gedanken von Gott, die schnell vergehen können, die kein wirkliches Fundament haben.
Übrigens: wenn Du eine Frage oder eine Ergänzung zu dem, was ich hier schreibe hast, dann schreibe gerne einen Kommentar unterhalb dieses Beitrags.


Über Gott nachdenken

Was mir gerade noch einfällt und das möchte ich unbedingt noch sagen. Was Meister Eckhart nicht meint ist, dass wir über Gott nicht nachdenken sollen. Er war selber Theologieprofessor, er hat an der besten Uni zu seiner Zeit gelehrt. Er war ein Denker über Gott. Niemals würde er das ablehnen. Wir dürfen und sollen über Gott nachdenken, aber uns sollte klar sein, dass wir nicht Gott selber denken können und Gott kein Gedanke ist.
Ist Gott also eher ein Gefühl, geht es Meister Eckhart also um einen gefühlten Gott?
Es hat in der Spiritualitätsgeschichte genug Ausrichtungen gegeben, die auf das Gefühl gesetzt haben. Den Anhängern solcher Strömungen wurde schnell Schwärmertum nachgesagt. Manche sehen auch die Brüdergemeinschaft in Taize als eine Bewegung, die vor allem auf das Gefühl setzt und daher schnell manipulativ auf junge Menschen wirkt.
Zugleich können der gefühlte Gott und vor allem seine Anhänger abgehoben wirken, wie in einer anderen Welt, wie in einer Blase. Wer nur in der Atmosphäre der Liebe lebt, der Freude und nichts mehr an sich heran lässt, was unser Leben ansonsten schwer und anstrengend macht, der lebt vermutlich auf einem spirituellen Elfenbeinturm.


Gott als Projektion unserer Bedürfnisse

Aber darum geht es nun wirklich nicht. Jesus ist ja gerade Mensch geworden, hat sich in seiner Christuswirklichkeit aus den Sphären des Göttlichen in die menschliche Wirklichkeit begeben.
Und dann gibt es noch den Aspekt, dass wir Gott nach unseren Bedürfnissen formen, als eine Art Projektion, wie es Feuerbach in seiner Religionskritik schon beschrieben hat.
Gott, der das ausgleicht, was ich gerade nicht bekomme. Gott als die Variable, die ich einsetze, wenn ansonsten nichts mehr hilft.
Aber ein solcher Gott ist ein Gott, der sich selbst abschafft, der auf menschliche Größe schrumpft und damit als Gott unbrauchbar wird.


Der anwesende Gott

Wenn es Meister Eckhart also auch nicht um einen gefühlten Gott geht, wobei auch hier gilt, dass wir natürlich auch Gefühle in unserer Spiritualität brauchen.
Worum geht es Eckhart also dann?
Es geht ihm um den anwesenden Gott. Der anwesende Gott ist jenseits von Gefühlen und Gedanken, auch wenn er im Gefühl und in den Gedanken anwesend sein kann und Teil meines Fühlens und meines Denkens. Es ist aber vor allem ein Gott, der unabhängig von uns Menschen ist und das muss er auch sein, ansonsten wäre er nicht Gott. Gott ist doch der, über den hinaus nichts Größeres gedacht werden kann, wie es Anselm von Canterbury als einen Gottesbeweis beschrieben hat, der bis heute nicht wirklich widerlegt wurde.
Gott ist anwesend, der Anwesende, der im Leben präsent ist. Es ist keiner, der sich heraushält, der von oben zuschaut und sich freut oder ärgert, der sich die Welt anschaut, wie wir fernsehen.
Und Gott kann nicht anders, als mit seinem Wesen präsent zu sein. Wir sprechen ja auch von anwesend, das heißt, dass das Wesen an etwas heranreicht.
Und diese Art der Anwesenheit öffnet sich in unserer Wirklichkeit als Liebe, als Gnade und als schöpfend. Gott ist präsent, wo Kreativität bestimmend ist, wo Liebe geschieht in all ihren Variationen, und ist Gott dort anwesend, wo Heilung geschieht. Selbst wenn diese Heilung geschieht, wo nicht von Gott gesprochen wird und nicht an Gott geglaubt wird.
Und es geht noch weiter.


Gott ist in Dir anwesend

Gott ist anwesend in Dir - natürlich möchte ich sagen, natürlich ist Gott anwesend in Dir. Schon oft und immer wieder sage ich das in der Hoffnung, dass wir es endlich verstehen und begreifen, was das heißt und bedeutet.
In der Mitte einer jeden Zelle Deines Körpers ist Gott, in Deiner DNA ist Gott auch anwesend, in jeder Hirnregion, im Zentrum Deines eigenen Wesens.
Zwar geht Gott nicht in Dir auf. Wir sagen zwar gerne “Du bist Gott” oder auch “Ich bin Gott.” Das ist nicht falsch, aber Gott geht nicht deshalb in uns auf. Gott ist nicht nur in uns, sondern auch über uns hinaus.
Wir sind Gottesträgerinnen in dieser Welt, Christusträgerinnen. Diese Christuswirklichkeit ist Teil unseres Wesens, ist unser Auftrag und manchmal vielleicht sogar unsere Bürde.
Einen solchen Gott kann man nur entdecken, und nicht nur denken und auch nicht nur fühlen.
Und ein solcher Gott ist auch personal, aber jetzt Vorsicht. Wir dürfen personal nicht mit einem Individuum verwechseln. Das Personale bei Gott lässt nicht auf den einen schließen, der da sitzt und in Beziehung geht.
Und so kannst Du Dich angesprochen fühlen von diesem personalen Gott, so kannst Du zu Gott sprechen und weißt Doch: Da sitzt niemand, das ist kein Gott, der traurig ist, böse ist, der Vergeltung sucht, der sich tierisch freut. Da ist Gott, da ist eine Anwesenheit, die personal ist und in personaler Art und Weise anwesend ist.
Und um diesen Gott geht es Meister Eckhart, denn der ist beständig und durchwirkt zwar alles und ist doch immer größer als unser Denken und Fühlen.

korrgiertes Transskript


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