Das sind die vier Wege der Spiritualität

26. November 2022

Der wunderbare Theologe Matthew Fox hat einmal eine sehr gute und grundlegende Einteilung der Spiritualität vorgestellt, die ich Dir heute nahebringen und erklären möchte. Sie wird Dir helfen, Deine eigene Spiritualität vielleicht zu erweitern oder zu ergänzen. Auf alle Fälle gewinnst Du einen frischen Blick auf das spirituelle Leben.

Beginnen wir gleich:


Via Positiva

Matthew Fox, ein Amerikaner, der wegen seiner theologischen Ansichten seinen Orden verlassen musste, beginnt mit der Via Positiva. Also mit dem Weg der Spiritualität, der vor allem dem Positiven gilt. Wir dürfen hier nicht den Fehler machen, das Wort Positiva mit dem uns geläufigen Wort positiv zu verwechseln. Im nächsten Schritt wird es nämlich um die Via Negativa gehen und dann kann man schnell zur Überzeugung kommen, als handele es sich um einen Weg, den man nicht gehen sollte, und bei der Via Positiva um einen Weg, den man immer einschlagen sollte. Es gibt unter den vier verschiedenen spirituellen Wegen keine Hierarchie und kein besser oder schlechter. Alle vier Wege gehören dazu und sind wichtig.

Wenn ich hier also von der Via Positiva spreche, dann meine ich einen Weg, der vor allem von Fülle, Freude und Segen geprägt ist.

Leider ist es im Christentum oft so, dass wir wenig mit Freude und Fülle in Kontakt kommen. Vor allem die alte Vorstellung der Erbschuld ist nach meinem Empfinden und in meiner Haltung ein großer Trugschluss und hat schon sehr viel Schlimmes in den Menschen verursacht. Besser als von Urschuld zu sprechen, sollten wir vom Ursegen sprechen. Denn das Leben, und das ist ein wichtiger Aspekt der Via Positiva, beginnt mit einem Segen, mit Wohlwollen, mit Fülle und mit einem großen und klaren Ja. Wir werden in diese Welt hineingeboren mit einem Guthaben und nicht schon mit einem Minus. Und wir sind hier, die Fülle zu entdecken. Wir dürfen Fülle wahrnehmen, spüren, wir dürfen das Ja des Lebens feiern, ausgelassen feiern. 

Auf der Via Positiva gibt es keinen Platz für Grabesstimmungen, für Bitterkeit und Enthaltsamkeit. Hier geht es um die Fülle, um die Freude am Guten, das uns das Leben bereithält. Eltern spüren diese Kraft der Via Positiva, wenn sie das Neugeborene in den Armen halten, wir spüren es in der Sexualität, im frohen und erfüllten Zusammensein mit anderen, in dem Augenblick, wo eine Begegnung besonders gelungen ist. Wir spüren die Via Positiva auch in der Natur. Jedes Insekt in seiner unglaublichen Vielgliedrigkeit, jede Blume in ihrer Schönheit künden das Lied der Via Positiva. Und aus all diesen Begegnungen und Erkundungen entspringt uns ganz natürlich, ohne dass wir dazu angehalten werden müssten, ein großer Dank für das Schöne, das Gute und für den Segen in allem.


Via Negativa

Wie gesagt, gibt es aber auch die Via Negativa. Kein Weg, den wir scheuen sollten oder den zu gehen es sich verbieten würde. Es ist ein guter und wichtiger Weg. Die Via Negativa ist ein Weg der Stille und des Loslassens. Daher kommt dann auch das Wort Negativa, damit ist gemeint, dass man alles loslässt und am Ende mit leeren Händen dasteht. Vor allem der kontemplative Weg ist eine Via Negativa, weil es darum geht, nicht nur Besitz, sondern vor allem alle Anhaftungen, alle inneren Bilder und Konstrukte loszulassen. Die Via Negativa ist eine Einladung in die Leere hinein. 

Auch Jesus hat diesen Weg gekannt und gelebt – wie er übrigens auch die Via Positiva gut kannte und lebte, immerhin wurde er ein Fresser und Säufer genannt. Aber er kannte auch die Via Negativa. Sein Kreuzestod ist ein Ausdruck dafür. Tod und Leiden sind Teil dieses Weges. Man sucht sie sich nicht, aber sie kommen uns irgendwann auf unserem Weg entgegen und dann heißt es, die Via Negativa zu gehen, bereit zu sein, in die Entleerung zu gehen. Bereit zu sein, für ein Leben der leeren Hände. Theologisch wird das die Kenosis, die Entäußerung genannt. Im Buddhismus spricht man von dem Lassen aller Anhaftungen. Immer ist das Gleiche gemeint, immer geht es um diese Via Negativa. 

Wenn Du Augenblicke der Stille suchst, wenn Du auf dem Weg der Meditation bist, dann bist Du auf der Via Negativa. Aber zum Glück muss man sich nicht für einen dieser vier grundlegenden Wege entscheiden. Wir können alle vier gehen und ich meine sogar, wir sollten alle vier Wege in unterschiedlicher Gewichtung gehen.


Via Creativa

Der nächste Pfad nennt sich Via Creativa. Hier geht es also um das Schöpferische, den Ausdruck, das Gestalten und in die Welt setzen. Wir sind aufgefordert, Neues in die Welt zu bringen und das kann ganz unterschiedlich aussehen. Wir können natürlich malen, können dichten, wir können Häuser bauen. Manche bringen neue Gedanken und Konzepte in diese Welt, neue Lösungen für große Probleme. Andere machen es spielerischer und erfreuen sich einfach am Spiel der Dinge, daran, wie Wasser sich im Bach verhält und immer wieder neu und niemals so ist, wie vorhin oder zu irgendeinem anderen Zeitpunkt.

Kunst ist der stärkste Ausdruck der Via Negativa. Die Freude an der Malerei, an Musik, Theater und Oper, an Tanz und an schönen und guten Worten. All das gehört zur Via Creativa. 

Und mit diesem Weg, wenn wir ihn also beschreiten, nehmen wir Anteil am großen Schöpfungswerk Gottes. Die schöpferische Kraft des Göttlichen fließt durch uns hindurch.

Auch das Kontemplative Zeichnen, wie ich es anbiete, ist Teil dieses Weges. Immer wieder neu bringen wir dabei Innerstes zum Ausdruck, wir stellen uns den Impulsen aus dem Inneren, wir öffnen uns für Energien aus der Tiefe und so kann etwas Neues entstehen. Hier steht nicht die Schönheit im Mittelpunkt, sondern der authentische Ausdruck, das aufs Papier-Bringen von inneren Bewegungen.

Jeder Theaterbesuch, jeder Spaziergang durch ein Museum ist im Kern ein spirituelles Tun – gerade dann, wenn uns Kunst stärken und fördern möchte.

Dazu gehört auch die Mütterlichkeit Gottes. das Gebärende Gottes. Gott ist eine große Mutter, ist eine gebärende Quelle des Lebens. Aus dieser Quelle entstammt alles Leben und alle schöpferische Energie. 

Und Schönheit ist etwas, das zu diesem Weg dazugehört. Die Freude an der Schönheit, die Freude an der Natur, die Freude daran, wie  schön es sein kann, Kindern beim Spiel zuzusehen, die Schönheit einer vergebenden Geste, die Schönheit eines alten Gesichtes. Das alles sind Ausdrucksformen der Via Creativa, sind Teil dieses großen Wegs.

Dazu gehört daher auch, den Sinn für das Schöne zu entwickeln, eigene Ausdrucksformen zu suchen und zu spüren, wie gut uns Kunst und Ausdruck tun, wie sehr wir damit mit Gott verbunden sind.


Via Transformativa

Kommen wir zum vierten und letzten Weg. Dieser Weg nennt sich Via Transformativa. Es geht also um Veränderung, es geht um Wandlung. Die Kraft dieses Weges offenbart sich in jeder Therapie – egal ob Psychotherapie oder eine medizinische Therapie. Wo etwas geheilt wird, wo jemand sich weiterentwickelt, dort offenbart sich die Kraft der Via Transformativa. Wir sind auf diesem Weg eingeladen, uns zu wandeln, an uns zu arbeiten, freier und weiter zu werden, tiefer und mitfühlender, mit mehr Liebe und mehr Güte im Herzen.

Auch in den großen Veränderungen in dieser Welt offenbart sich meistens die Via Transformativa, zumindest teilweise. Im Suchen nach Lösungen für anstehende Probleme, wie dem Klimawandel, auf der Suche nach einem guten Weg in einer Partnerschaft, im Ringen um eine Zukunft von Gemeinschaften und Gemeinden kann und will sich die Via Transformativa ausdrücken und zeigen.

Vergebung ist ein wichtiges Wort auf diesem Weg, weil Vergebung so viel heilen kann. Mitgefühl ist ebenfalls ein wichtiges Wort, weil es die Grundhaltung der Via Transformativa zeigt. Und in jedem Augenblick können wir diesen Weg in der Natur beobachten. Immer und ständig heilt die Natur sich selbst, immer und überall heilt Dein Körper sich selbst. Und so waltet diese heilende Kraft durch alles hindurch.

Die Via Transformativa ist eine große Einladung an Dich, Dich selbst zu entdecken und zu feiern, an Dir zu arbeiten und Dich selbst zu unterstützen. Dass ein solcher Weg manchmal auch hart ist und wehtun kann, das brauche ich gewiss nicht zu betonen. Die vier Wege kreuzen sich oft. Manchmal scheint es, als wäre unser Leben eine einzige Allee der Via Positiva und dann kommen ein Einschnitt und ein Bruch und alles scheint nur noch Via Negativa zu sein. 

Diese vier Wege sind eine einzige Einladung alles zu gehen, sie sind eine Einladung an die Freude am Leben, an die Kraft der Stille und der leeren Hände, ja auch an die Kraft des Leidens.

Sie sind eine Einladung an das Schöpferische in Dir und das Schöne und nicht zuletzt eine Einladung zum Wachsen und Werden.

Das ist eine lebensbejahende Spiritualität, voller Segen, aber natürlich nicht ohne Herausforderung. Und jede und jeder wird eigene Schwerpunkte haben. Man kann die Wege sehr extrovertiert gehen und damit vielleicht die Via Positiva betonen oder auch sehr introvertiert und daher vor allem Stille und Leerheit betonen.

Das Wichtigste ist, dass Du Deinen Weg gehst und dass Du Dich einladen lässt von diesen vier Pfaden.


korrigiertes Transskript


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