Immer geht es um unser Verhalten! Immer geht es darum, was ich getan habe oder auch nicht. Schau Dir die ganzen Streitigkeiten von Paaren an. Du hast das getan, Du hast das nicht getan, das hättest Du tun müssen, ach hättest Du das nicht getan.
Und so lange man auf dieser Ebene bleibt, so lange kommt man nicht weiter.
Viel wichtiger ist es, auf etwas ganz anderes zu schauen. Auf was? Das verrate ich JETZT..
Die Menschen sollen nicht so viel nachdenken,
was sie tun sollen,
sie sollen vielmehr bedenken, was sie sind.
So lautet das Zitat von Meister Eckhart, über das ich heute sprechen möchte. Im Zentrum dieses Satzes stehen zwei Begriffe: Das Tun und das Sein.
Tatsächlich ist es so, dass wir die Dinge oft von ihrem Tun aus bewerten. Wir bewerten Menschen aus der Perspektive ihrer Handlung, wer sie sind und was sie sind. Wir beobachten, was sie besonders Gutes können, welche Begabung sie haben, welche Fähigkeiten sie haben, wir bewundern Menschen, die Großes vollbringen können, die sportliche große Leistungen vollziehen können oder die wunderbar malen können, Menschen, die Gedichte schreiben, die uns berühren. Oder wir bewundern Menschen, die vielleicht Friedensstifter sind und Menschen zusammenbringen. Und zugleich beschweren wir uns über Menschen, die sich nicht gut benehmen. Wir beobachten, wie Menschen andere Menschen schlecht behandeln und die unfair mit ihnen umgehen.
In Beziehungen können wir lange darüber sprechen, was der eine oder die andere gesagt hat und getan hat und dann wird es ganz besonders wichtig, wer begonnen hat etwas zu tun. Ein großes Thema in Beziehung: Wer hat den Anfang gemacht von einer ganzen Handlungstirade.
Und bei kleinen Kindern beobachten wir, was sie schon können. Eltern unterhalten sich, was unser Kleiner schon kann oder unsere Kleine. Oder was er noch nicht oder was sie noch nicht kann, aber können sollte.
Wir betrachten uns und unsere Welt und vor allem die Menschen um uns herum, indem wir ihr Verhalten beobachten. Und indem wir ihr Verhalten bewerten, meinen wir zu erkennen, was das für Menschen sind. Wer sich gut verhält, ist auch ein guter Mensch und wer sich schlecht verhält, kann auch nur ein schlechter Mensch sein. Warum sollte er oder sie das auch sonst machen? Das liegt doch auf der Hand, oder?
Natürlich ist unser Handeln wichtig und natürlich ist es wichtig, Menschen gut zu behandeln. Und es ist selbstverständlich auch ganz natürlich, das Handeln zu betrachten und es auch zu bewerten. Das nennt man Ethik und Moral, denn darum geht es in diesem Fall. Dass wir eine gute Moral haben, dass wir ethisch korrekt handeln. Das heißt, dass wir unser Tun und Handeln ableiten können von bestimmten Werten, die wir in uns tragen und in unserem Leben vermittelt bekommen.
Aber wenn wir dabei stehen bleiben, wenn das Handeln eines anderen Menschen das Wichtigste ist, um ihn zu beurteilen, dann erfassen wir ihn nicht wirklich. Und das Gleiche gilt auch für uns selber. Wenn wir uns darauf konzentrieren, was wir tun, wenn wir uns darauf konzentrieren, was ich kann und wozu ich fähig bin, welche Fähigkeiten und Begabung ich besitze oder auch eben nicht besitze, dann verfehle ich den Kern meiner Selbst, ich verfehle mein Wesen. Ich kann über das Handeln den Menschen nicht erfassen, kann nicht aufgrund des Handelns wirklich eine Aussage machen über den Menschen, die diesen Menschen in der Tiefe begreift und versteht. Das Handeln ist letztlich nur ein Medium und nicht das Eigentliche. Und wenn ich beim Handeln bleibe, wenn ich die Menschen um mich herum aus ihrem Handeln heraus verstehen möchte und keine anderen weiteren Zugänge habe, die mich tiefer führen, dann werde ich das Geheimnis des Lebens und das Geheimnis des Menschen und des einzelnen Menschen, der vor mir steht, niemals erfassen können.
Diese Fixierung auf das Verhalten ist ein typisches Phänomen unserer Zeit. Wir konzentrieren uns auf das, was wir beobachten können, was wir im Grunde filmen könnten, weil Verhalten sich immer als etwas zeigt, was ich sehen oder hören kann, was ich durch meine Sinne wahrnehme. Und das scheint verlässlich zu sein, das ist das, was man eben beobachten kann, das andere auch gesehen haben. Dabei wissen wir nicht einmal, ob das, was ich sehe, auch das ist, was Du siehst. Wir wissen es nicht. Aber wir gehen davon aus.
Meister Eckhart sagt, konzentriere Dich nicht auf das Tun, überlege nicht, was Du tun willst und sollst. Damit erfasst Du Dich nicht und damit erfasst Du auch die anderen Menschen nicht. Uns bleibt sonst etwas ganz Wesentliches verschlossen. Der Weg, den Meister Eckhart uns hier vorschlägt und nahelegt, ist der Weg von der Ethik zur Ontologie. Ontologie ist die Lehre oder die Wissenschaft vom Sein und dem Seienden, also von allem, was existiert. Und wenn ich in diesem Zusammenhang von Ontologie spreche, dann meine ich jetzt nicht die Ontologie als wissenschaftliche Gattung. Mir geht es um die Ontologie des Menschen oder um die innere Ontologie.
Meister Eckhart sagt nun, schau nicht auf Dein Handeln, konzentriere Dich nicht darauf, was Du tun sollst und kannst, was Du schon kannst, was Du noch nicht kannst, was Du können solltest, sondern konzentriere Dich auf Dein Sein, konzentriere Dich auf Deine Existenz. Und das meinte er natürlich nicht irgendwie abstrakt philosophisch, wie es eine wissenschaftliche Ontologie tun würde. Denn hier geht es ja um ein tieferes Verständnis unseres Wesens, was in uns angelegt ist, nicht im Sinne eines Handelns, sondern einer Art des Seins.
Und Meister Eckhart sagt, diese Art des Seins, diese spezielle Art oder Färbung des Seins, die wir in uns tragen, die wir sind, darum geht es. Und darum geht es, wenn Du Dich selbst betrachtest und wenn Du auf andere Menschen schaust. Du brauchst diesen Bezugspunkt, um Dich und andere Menschen zu verstehen, um das Geheimnis des Menschseins zu verstehen, musst Du Dich in dieses Sein hinab lassen und die besondere Art des Seins, des menschlichen Seins, versuchen zu erfassen.
Nun stellt sich natürlich die Frage, was ist das besondere Sein des Menschen. Was sehe ich denn und erkenne ich denn, wenn ich mich in die Tiefe des Seins hinab lasse?
Wenn Du tief genug runtergehst, und Dich auf das wirklich einlässt, was Du dort erkennst, kann dazu gehören, dass sich zunächst sehr viel Unruhe zeigt, dass sich Gefühle zeigen, Bedürfnisse, alte Geschichten von gestern und Ideen für morgen, weil es ein Teil der Unruhe unseres Geistes ist.
Aber wenn Du Dich durch den Urwald innerer Unruhe geschlagen hast, wenn alle Unruhe hinter Dir liegt und alle Bilder hinter Dir liegen, alle Töne und Klänge hinter Dir liegen, wenn Du also an dem Punkt angelangt bist, wo all diese Differenzierungen vorbei sind, wo wirklich nur noch das reine Sein ist, dann wirst Du erkennen, das in diesem Sein in diesem menschlichen Sein, das auch Dein Sein ist, eine göttliche Präsenz anwesend ist.
Das ist das Besondere unseres Seins, dass wir zu dieser göttlichen Präsenz vorstoßen können, dass wir die göttliche Präsenz in diese Welt hineintragen können.
Alle Bedürfnisse, alles wo ich meine, das brauche ich noch, das muss ich mir besorgen, das fehlt mir noch, da muss ich noch etwas lernen, da bin ich zu schwach, da bin ich viel zu stark, all das findet dort ein Ende.
Auf der Ebene des Seins, gibt es kein zu viel oder zu wenig, gibt es keine Bedürfnisse. Es gibt diese Präsenz, es gibt diese Verwobenheit und Durchtränktheit mit dem Göttlichen.Meister Eckhart will uns mit seinem Zitat dazu ermutigen, in dieses Schauen zu kommen, dieser Tiefenblick auf und in die Menschen, auf und in Dich hinein, ist das, was er uns nahe legen will. Das Offensichtliche, das, was sich zeigt im Handeln und Tun, also die Ethik und Moral, so wichtig sie auch sind, ist nicht unser Sein. Und deshalb ist es auch so wichtig, egal was uns angetan worden ist, egal was wer wie wann getan hat, immer zu berücksichtigen, dass das Sein viel mehr ist, als das, was getan wurde. Das Geheimnis des Menschen bleibt von unserem Tun stets unangetastet.
Und das gilt es in unserem Leben, zu diesem Geheimnis des Menschseins vorzudringen, vorzudringen zu der Göttlichkeit, die nicht erst in uns irgendwie eindringen muss oder die wir wachsen lassen müssen, sondern die immer schon in voller Kraft in uns präsent ist. Und diese Kraft in allen Menschen zu sehen und zu erkennen, das ist es, wozu uns Meister Eckhart einlädt.
Gerne darfst Du mir wieder einen Kommentar zu diesem Text schreiben.
Genieße jeden Tag voller Lebendigkeit!
korrgiertes Transskrip