Beim Betrachten von Sportlern vor ihrem Wettkampf oder Spiel fällt oft ihre intensive Konzentration auf. Alles scheint auf einen einzigen Punkt fokussiert zu sein, Ablenkungen sind ausgeschaltet. Jetzt dreht sich alles nur um diese eine Sache: diesen Sprung, diesen Kampf – nichts anderes zählt.
Der Jubel der Zuschauer, das Gerede der Reporter, die Vorbereitungen der Arena-Mitarbeiter – all das spielt jetzt keine Rolle mehr. Es existiert nur dieser eine Moment, nur dieser eine Pfad, und nur dieses eine Ziel gilt es zu erreichen. Ein Sportler ist auf dieses Ziel ausgerichtet und setzt all seine Energie dafür ein.
Von Sportlern können wir für unser spirituelles Leben viel lernen, etwas, das schon im Neuen Testament von Paulus aufgegriffen wurde.
Fluch und Segen der Zerstreuung
Jedoch sind wir oft eher auf Zerstreuung aus. Das ist verständlich, da 24-stündige Fokussierung unmöglich ist. Dies ist vergleichbar mit unserem Sehvermögen: Manchmal zoomen wir nah heran, um uns auf Details zu konzentrieren, während wir in anderen Momenten den Blick schweifen lassen, um das Gesamtbild zu erfassen.
Doch neigen wir dazu, es mit der Zerstreuung zu übertreiben. Wir schalten das Radio oder den Fernseher an, während wir das Abendessen zubereiten. Wir blättern teilnahmslos in Magazinen umher, ohne nach etwas Bestimmtem zu suchen. Ein Buch liegt bereit, leitet uns aber nur zur Zerstreuung an.
Wenn das Leben jedoch zur Zerstreuung wird, ist dies ein Zeichen dafür, dass das eigene Ziel unklar ist. Klarheit über das eigene Ziel würde zwar immer noch Zerstreuung beinhalten, jedoch anders und wahrscheinlich weniger häufig.
Wir verschwenden kostbare Lebenszeit und -energie mit Unterhaltung. Letztlich verhindert Zerstreuung, dass wir unserer Berufung nachgehen oder sie leben. Sie führt uns in die Sinnlosigkeit des Daseins.
Zerstreuung führt auch dazu, dass wir die Achtsamkeit verlieren. Der zerstreute Zustand ist halbbewusst. Wir sind nicht wirklich im Schlafmodus, können immer wieder in den Modus des bewussten Lebens wechseln, wenn jemand mit uns spricht oder Gefahr droht. Doch ohne Reiz nehmen wir unsere Umgebung nicht mehr richtig wahr. Am Ende fragen wir uns, welchen Film wir gerade gesehen haben oder was wir in der letzten Stunde getan haben.
Es geht nicht darum, solche Zustände vollständig abzuschaffen. Bei Erholung denken wir oft an Zerstreuung, an Abstand von Fokussierung, die für unser Gehirn anstrengend ist und viel Energie erfordert. Wir brauchen auch ein Maß an Zerstreuung.
Doch das eigentliche Problem liegt tiefer. Viele Menschen haben keine klare Ausrichtung im Leben. Sie sind nicht fokussiert und leben daher meist nur in einem Modus der Zerstreuung.
Wie innere Ausrichtung uns hilft
Doch was ist innere Ausrichtung? Vor vielen Jahren habe ich Bogenschießen geübt – nicht als Sport, sondern als Übung auf meinem spirituellen Weg. Im Kern ähnelt es dem kontemplativen Zeichnen, das ich lehre. Aus dem Bogenschießen lassen sich wertvolle Lehren ziehen. Die verschiedenen Handlungsabläufe bieten eine gute Möglichkeit zur Ausrichtung.
Beim Bogenschießen dreht sich alles um das Ziel. Doch dieses zu treffen erfordert nicht nur den Fokus auf das Ziel selbst, sondern auch auf die eigene Person. Wer nur das Ziel im Blick hat und völlig darauf fixiert ist, verliert die Verbindung zu sich selbst und verfehlt das Ziel.
Die Verbindung zu sich selbst muss vorhanden sein, um das Ziel anzuvisieren. In dieser Spannung liegt die Ausrichtung des Menschen, deine Ausrichtung. Innere Ausrichtung bedeutet, ein Ziel oder einen Wert zu haben, für den man lebt und kämpft.
Um dieses Ziel zu erreichen oder für diesen Wert zu kämpfen, ist Anspannung erforderlich. Sie ist der Auslöser für Bewegung. Die Muskeln und das innere Gefüge müssen angespannt sein. Diese Anspannung richtet alle inneren Energien auf die Vollendung aus, während andere Ziele und Werte beiseite geschoben werden.
Beim Spannen des Pfeils auf die Sehne und dem Anvisieren des Ziels kann man nicht gleichzeitig die Wolken am Himmel beobachten oder ans Abendessen denken. In diesem Moment zählt nur das Ziel und nichts anderes.
Das mag simpel klingen, ist es aber nicht. Die meisten Schüsse verfehlen das Ziel, weil die Ausrichtung nicht ausreichend ist. Manche denken zu sehr darüber nach, wie sie das Ziel erreichen können. Andere sind zu sehr darauf fixiert, das Ziel zu treffen. Wieder andere sind vielleicht von Kopfschmerzen geplagt oder tragen unbequeme Schuhe, was ihre Fokussierung beeinträchtigt.
Doch genug vom Bogenschießen, auch wenn es ein gutes Symbol und Ritual für innere Ausrichtung ist. Wie findest du deine innere Ausrichtung?
Die zwei Richtungen der Ausrichtung
Wie bereits erwähnt, hat Ausrichtung zwei Bedeutungen und birgt zwei Aspekte. Der erste Aspekt ist die Verbundenheit mit sich selbst – mit den Fähigkeiten, inneren Werten, dem Körper und dem Unbewussten. Wenn du dich ausschließlich auf deine Ziele konzentrierst, mag das wichtig sein, jedoch wird es dir langfristig nicht helfen, wenn du dich dabei selbst verlierst. Schließlich benötigst du Energie und Kraft, um dich aufrecht zu erhalten.
Diese Verbundenheit ist vor allem körperlich. Hier kommt erneut das Konzept ins Spiel, das ich bereits in früheren Videos erwähnt habe: die Verbindung zur Körpermitte, dem sogenannten Hara-Punkt, etwa eine Handbreit unterhalb des Bauchnabels. Hier liegt unsere Kraftquelle, von der aus wir Einfluss auf die Welt nehmen und die Energie mobilisieren können, die für unsere äußere Ausrichtung erforderlich ist.
Doch auch die Verbindung zum Herzen ist von Bedeutung. Die Kraft aus dem Hara kann sowohl für Gutes als auch Schlechtes genutzt werden. Die Energie des Herzens bewahrt uns davor, sie für negative Zwecke einzusetzen.
Es geht also auch um das Herz und die daraus entspringende Energie, die uns wie ein Kompass in unserem Leben leitet. Nicht zuletzt brauchen wir eine Verbindung zum Geist, der keine physische Heimat hat. Zwar verknüpfen wir ihn oft mit dem Kopf, doch diese Verbindung ist problematisch, da wir ihn so leicht mit kognitiven Prozessen verwechseln.
Der Geist repräsentiert unser bewusstes Sein und die Präsenz. Wenn er uns in innere Gespräche verstrickt, uns in die Vergangenheit führt oder Ideen für die Zukunft einflüstert, sind wir nicht präsent und nicht mit unserem Geist oder unserem bewussten Sein verbunden.
Diese Verbundenheit mit uns selbst ist der Ausgangspunkt und das Erste, das es auf unserem Weg zu lernen und zu üben gilt. Dafür sind Meditationen von großer Bedeutung, ebenso wie bewusst eingenommene Körperhaltungen und Achtsamkeitsübungen, die ja im Netz zahlreich verfügbar sind.
Somit legen wir den Grundstein für eine Ausrichtung auf äußere Ziele. Dabei meine ich nicht lediglich Ziele wie Urlaubspläne oder berufliche Vorhaben. Es geht um die Ausrichtung unseres gesamten Lebens, eine tiefergehende Ebene.
Zur Ausrichtung gehört ein Ziel
Daraus ergibt sich die Frage: Was ist das eigentliche Ziel deines Lebens? Worauf willst du dein Leben ausrichten? Diese Frage ist nicht allein für junge Menschen von Bedeutung. Selbst wenn uns nur noch ein Tag bleibt, stellt sie eine wichtige und legitime Frage dar, der wir uns stellen sollten.
Daher frage ich dich: Wohin möchtest du dein Leben ausrichten? Im Verlauf des spirituellen Weges wirst du dieser Frage immer wieder begegnen. Das ist notwendig, denn nur so können wir Fortschritte erzielen und uns nicht mit dem Status quo begnügen. Der spirituelle Weg fordert uns zur Entscheidung heraus und verlangt von uns, Position zu beziehen.
Für diesen Prozess müssen wir Entscheidungen treffen und das bedeutet, Wege ausschließen und Möglichkeiten beiseite lassen. Es ist unmöglich, in allen Lebensbereichen Höchstleistungen zu erbringen und gleichzeitig ein tiefgehendes spirituelles Leben zu führen. Beides ist kaum vereinbar.
Ebenso wenig können wir Kinder aufziehen und gleichzeitig als Eremit leben wollen. Entscheidungen und Verzicht sind unvermeidlich, denn der spirituelle Weg erfordert Verzicht, genauso wie das Leben selbst.
Doch dieser Prozess der Entscheidung und des Verzichts ist notwendig, um immer tiefer auf unserem Weg der Ausrichtung voranzukommen – vergleichbar mit dem Bogenschießen. Dies führt zu Klarheit, und mit der Zeit wirst du spüren, wie deine inneren Konturen immer deutlicher werden.
Das Ende der Meisterin
Wenn die Klarheit schließlich Einzug hält, bist du bereit, geleitet zu werden. Nicht von äußeren Autoritäten, Lehrern oder Gurus, sondern von der inneren Kraft, der Meisterin in dir. Erst im Kontakt mit dieser Ebene erkennst du das wahre Wesen deines Lebensziels und wie es aussehen soll.
Wir bezeichnen dies oft als das Finden unserer eigenen Mitte, was lediglich eine andere Formulierung für die innere Meisterin oder den inneren Meister darstellt. In diesem Augenblick bedarf es keines Lehrers, keines Gurus mehr. Kein Buch wird mehr jene Begeisterung wecken, die es einst vermochte.
In diesem Augenblick gibt es nur noch diese eine innere Stimme, die Bedeutung hat. Alles andere ist lediglich eine Annäherung, eine Nachahmung dieser inneren Stimme. Nichts ist so frisch, so klar und so unerbittlich wie die Stimme in dir. Alles andere wird sich dieser inneren Stimme unterordnen müssen – auch wenn dieser Prozess Zeit in Anspruch nehmen kann.
Doch letztlich wird es darauf hinauslaufen, dass alles im Einklang mit dem inneren Meister steht. Dann wirst du wahrscheinlich erkennen, dass du selbst das Ziel und die Ausrichtung warst und bist. Du wirst nicht mehr oberflächlichen Verlockungen erliegen, sondern auf höhere Ziele ausgerichtet sein. Es geht nicht mehr nur um Kontostände, schnellen Erfolg oder materiellen Wohlstand.
Es geht um das Streben nach Weisheit und Tiefe – die Fähigkeit, den Pfeil ins Ziel zu lenken, ohne jeglichen Wunsch, überhaupt ein Ziel zu benötigen. In diesem Zustand bist du ein Mensch in voller Ausrichtung, so, wie Gott dich sieht und auf Erden sehen möchte.
Wie kann man den Hara-Punkt „aktivieren“? Ist der Hara-Punkt der Sitz der „Lebensenergie“? Wo sozusagen das Qi des Menschen wohnt?
Am besten gehr das, indem du deine Aufmerksamkeit dort hineingibst. Stehe aufrecht, lege deine Hand auf den Hara-Punkt und verlege deinen Schwerpunkt in den Hara-Punkt.
Lieben Dank für die Beschreibung! Dann werde ich mich jetzt auf Entdeckungsreise begeben!
Gerne!
Lieber David, heute habe ich ein Buch über „Tibetean Pulsing“ gelesen, dort war auch vom Hara-Punkt die Rede. Es wurden dem Hara-Punkt der Buchstabe A (zum Tönen), der 3. Lendenwirbel und die Farbe Rot zugeordnet. Hast Du persönlich auch solche Zusammenhänge entdecken können? Ich persönlich spüre eine Art Wärme im Bereich des Hara-Punktes.
Liebe Cathérine, ja, das habe ich. Ich spüre auch Wärme, eine Schwere und für mich ist es der Ton M, der mich direkt in den Hara-Punkt führt. David