Leben mit der Vergänglichkeit

29. August 2020

Es ist windig geworden, ja, stürmisch. Es regnet und die heißen Tage scheinen endgültig vorbei. Kommt schon der Herbst? Ist der Sommer vergangen? Schon verfärben sich die ersten Blätter und aus dem zarten Grün im Mai ist längst das satte Grün geworden, das sich bald bunt färben wird und zu Boden fällt. Ein tiefes Symbol der Vergänglichkeit. Das welke Laub, das auf den Gehwegen liegt und bei jedem Windstoß aufgewirbelt wird, raschelt, weil es vertrocknet ist und an einem neuen Ort zum Liegen kommt. Und irgendwann kommt jemand und sammelt das Laub auf und bringt es auf den Komposthaufen. So geht es jedes Jahr - wir wissen es.
Das Leben ist vergänglich und das Ende des Sommers macht es uns ganz besonders deutlich - gerade, wenn der Wechsel von Hitze und Kühle so stark wie in diesem Jahr ist. Nicht nur viele Dichter der Romantik sahen im Herbst eine Widerspiegelung unserer eigenen Vergänglichkeit. Wir sprechen nicht ohne Grund vom “Herbst des Lebens”.
Wir vergehen und unsere Freuden vergehen. In jungen Jahren denken wir noch, dass das Leben unendlich zu sein scheint. Noch so viele Jahre liegen vor uns, dass sie schier unendlich wirken. Aber mit der Zeit erkennen wir, dass die Zeit weniger wird, dass meine Möglichkeiten sich einschränken und Fragen auf mich zukommen, die das Alter und den Tod betreffen.

Wie gehe ich mit meiner Vergänglichkeit um? Wie kann ich damit umgehen, dass alles vergeht: meine Freunde, meine Familie, meine Partnerin/mein Partner, meine Tiere und schließlich ich selbst. “Tod und vergeh waltet in allem…” heißt es in einem Hymnus. Ja, wirklich so ist es. Wir entkommen dem nicht - niemand kann dem entkommen.

Und jetzt?
Was mache ich mit einer Bedrohung, die ich nicht abwenden kann? Wie gehe ich mit meiner eigenen Vergänglichkeit um? Mit den grauen Haaren, der faltigen Haut, der wachsenden Ungelenkigkeit, vielleicht der Vergesslichkeit, den Erkrankungen? Kann man etwas akzeptieren, was man nicht akzeptieren will? Kann man in eine Haltung hineinwachsen, die mich mit frohem Herzen in die Vernichtung begleitet? Was ich nicht verändern kann, muss ich akzeptieren. Das ist schnell gesagt und klingt wie ein oberflächlicher Rat von der Qualität eines Kalenderspruchs. Aber vielleicht stimmt er ja. Und wenn er stimmt, wie gelingt mir das?

Vielleicht so: Dass ich mich jeden Tag vor dem Leben, vor dem Werden und Vergehen verneige. Jeden Tag voller Demut vor dem großen Stirb und Werde eine tiefe Verbeugung machen, jeden Tag Ja sagen, das Ja üben, ohne sich etwas vorzumachen, ohne die eigene Angst und die Sorgen zu übertünchen und doch üben. Und doch versuchen Ja zu sagen und doch dem Leben trauen. Ja, ich stimme dem Leben zu, so, wie es ist, ich stimme dem Tod zu, wie er kommt, der Vergänglichkeit. Ja, so ist es und ich erkenne es in Demut an, erkennen das Größere darin an, weil es alle und alles umfasst. Ich versuche es zumindest. Und so folge ich dem Leben und dem Tod. Vielleicht ist das ein Weg.


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