Ich war erfolgreich, hatte viele Freunde und Bekannte, man grüßte mich auf der Straße. Und ich war von Bedeutung, ich hatte Einfluss und sogar ein wenig Macht inne. Und an manchen Stellen ist mein Einfluss noch heute zu sehen und zu spüren.
Und doch war das nicht ganz mein Leben. Es war schön, es war gut und ich habe mich in dieser Zeit meines Lebens auch wohlgefühlt. Doch war ich dennoch nicht bei mir. Ich bin irgendwie von meinem Weg abgekommen, nicht ganz und gar, aber dennoch zu großen Teilen.
Warum aber ist das so? Warum kommen wir von unserem Weg ab?
Ich möchte Dir heute einige Antworten anbieten, die Dir helfen sollen, besser zu verstehen, was da mit uns, was mit Dir passiert und vor allem: Warum ist das so?
Denn wenn wir das verstanden haben, können wir andere Entscheidungen treffen, andere Wege gehen und wieder zu uns zurückfinden.
Ursache: Trauma
Viele Menschen leben ein Leben, das nicht ihres ist. Sie spüren es vielleicht sogar, leiden darunter und können es dennoch nicht ändern. Eine Ursache kann sein, dass ein Trauma dem zugrunde liegt. Ein Trauma ist ja eine überwältigende Erfahrung, die uns zutiefst prägt und oft unser ganzes Leben in Mitleidenschaft geraten lässt.
Gewalt, Übergriffigkeit, Verwahrlosung, mangelnde Liebe und Fürsorge in der Familie können solche Ereignisse sein, die tiefe Spuren in uns hinterlassen. Ein solches Trauma führt immer dazu, dass ich mich teilweise oder ganz verliere. Es kommt dazu, dass ich Teile von mir so weit abkapsle, dass sie wie etwas Fremdes und Überbordendes in mir wirken. Sie haben mitunter die Kontrolle über mein inneres Erleben und äußeres Verhalten. Und solange ich diesem Trauma und dessen Abkapselung nicht nachgegangen bin und aufgelöst habe, so lange werde ich auch immer wieder von meinem Weg abgebracht. Und es kann sogar so weit kommen, dass ich jegliches Gespür für meinen Weg und für mich selber verliere und daher gar nicht richtig spüren kann, dass ich einen Weg gehe, der mir wesensfremd ist.
Und so hat ein Trauma immer auch selbstdestruktive Tendenzen und Formen, die dafür sorgen, dass ich mein eigenes Leben beschädige oder gar zerstöre. Ein Trauma ist vielleicht die dramatischste und komplexeste Ursache dafür, dass ich immer wieder meinen Weg verlasse.
Ursache: Mensch
Ein weiterer Aspekt, den ich noch wichtig finde, ist, dass es natürlich zu unserer menschlichen Erfahrung gehört, dass wir unseren Weg verlassen, weil die Fähigkeit dazu zu unserer Natur gehört. Kein Tier kann das, jedes Eichhörnchen ist mit sich identisch und jeder Elefant ist es auch, obwohl auch hier Traumatisierungen vorkommen können.
Es ist unsere Freiheit, uns zu verfehlen und es ist unsere Aufgabe, das zu verhindern, sondern stattdessen uns wirklich zu finden. Wir sollen das göttliche Licht in diese Welt hinein reflektieren und unseren Spiegel jeden Tag aufs Neue dafür reinigen.
Und weil diese Fähigkeit in uns liegt und dem Menschsein eingeschrieben ist, deshalb kommt es natürlich auch vor. Mit anderen Worten: Es geht den meisten Menschen so, dass sie die Erfahrung machen, ihren Weg verloren zu haben. Du bist nicht allein, dieser Kampf, wie manche ihn erleben, ist eine ganz menschliche Erfahrung.
Der Beginn des Menschseins, der ist natürlich anders. Wir werden geboren mit einem großen Segen im Leben, mit einem großen und klaren Ja. Das ist die Startposition aller Menschen. Es ist kein menschliches Ja, da kann es sein, dass das nicht gesprochen wird. Das göttliche Ja aber wird immer gesprochen. Wir beginnen unser Leben nicht in einer Sünde, sondern mit einem Segen. Und deshalb stehen wir am Anfang auch auf unserem eigenen Weg und nicht auf einem, der nicht zu uns gehört.
Ursache: Verlust des Wesensbezugs
Gehen wir einen Schritt weiter:Die Mitte unseres Menschseins ist eine Art Kern, in dem wir zutiefst mit Gott verbunden sind. Dieses Wesen, wie es Graf Dürckheim nannte, das gilt es in unserem Leben durchscheinen zu lassen, es soll Wirklichkeit werden, und das heißt in unserem Leben und in dieser Welt wirken.
Die meisten Menschen haben diese Ebene unseres Seins verdrängt, so wie viele in sich das Göttliche verdrängt haben. Es ist im Grunde eines: Die Verdrängung Gottes und die Verdrängung unseres Wesens.
Doch wer zu seinem Wesen keinen Bezug hat, der findet im Leben auch keine Verankerung, der ist wie ein Baum ohne Wurzeln. Johannes Tauler nannte das den Urgrund und in diesen Urgrund hinein müssen wir unsere Wurzeln wachsen lassen.
Das, was wir zutiefst sind und worauf wir angelegt sind, das sagen uns nicht unsere oberflächlichen Gefühle und Bedürfnisse, das Wesen ist es, das uns sagt, wohin die Reise geht.
Wenn ich aber keinen Bezug dazu habe, wenn ich das Wesen und das Göttliche verdränge, dann werde ich zu diesem Kern nie vorstoßen und damit nie zu dem werden können, der ich bin.
Deshalb meditieren wir, beten wir, deshalb öffnen wir uns dem Spirituellen und arbeiten an uns, damit dieses Wesen durch uns hindurch scheinen kann, damit wir immer transparenter für das Göttliche werden.
Man kann es auch anders ausdrücken: Wenn ich nicht mit der göttlichen Liebe verbunden bin, dann bin ich auch nicht mit mir selber verbunden. Es ist wie immer: Die Beziehung zu mir ist gleich der Beziehung zum Göttlichen und umgekehrt.
Ursache: Unerledigte “Geschäfte”
Ein weiterer Aspekt, warum Du Deinen Weg immer wieder verlässt::Fritz Perls, der Begründer der Gestalttherapie, hat den Begriff des “unerledigten Geschäfts “ geprägt, auf Englisch: unfinished business. Damit meinte er innere Konflikte, die aus der Vergangenheit stammen und noch keinen Frieden gefunden haben. So magst Du Dich immer noch ärgern über eine Begebenheit von vor drei Jahren oder Du meidest die Begegnung mit Deinem Chef, weil er mal sehr grob zu Dir war. Das alles sind unerledigte Geschäfte, innere Konflikte, die nach einer Lösung suchen und so lange auftauchen und Dich beeinflussen, bist Du den inneren Konflikt gelöst hast.
Solche inneren Konflikte sind wie kleine Programme, die immer wieder ein gleiches Verhalten verursachen, sobald der entsprechende Trigger kommt. Du musst nicht überlegen, es geschieht ganz von allein. Dadurch aber, dass es ganz von allein geschieht, also autonom ist, hat es keinen Bezug mehr zu Deinem Wesen, nicht mehr zu Dir. Denn das Verhalten und die Reaktion sind Vergangenheit, es bezieht sich auf etwas, das nicht gegenwärtig ist. Im Grunde ist es die Szene eines Filmes, die immer wieder abgespult wird, bis jemand den Projektor repariert.
Es geht also darum, diese inneren Konflikte zu lösen, Frieden im Inneren zu schaffen, damit Du frei sein kannst und Dein Wesen beginnen kann, durch Dich hindurch zu strahlen.
Was Du tun kannst
Kommen wir zu einer nächsten wichtigen Frage.Was kann man nun tun, was kannst Du tun, wenn Du merkst, dass Du Deinen Weg verlassen hast, wenn Du spürst, dass Du nicht mehr Dein Leben lebst?
Es ist klar, dass manches professionelle Hilfe braucht. Ein Trauma lässt sich nicht mit ein paar Hinweisen heilen und lösen. Und doch kannst Du etwas tun und kannst vermutlich sogar eine Traumatherapie damit unterstützen.
Einer der wichtigsten Bereiche, die Dir helfen können, Deinen Weg und Dich selber wiederzufinden, ist Dein Körper. Über Deinen Körper kannst Du am besten wieder zu Dir kommen. Nicht nur, dass Du Dich darüber beruhigen kannst, sondern Du findest auch zu Deinem Wesen über den Körper. Für alle ist es klar, dass die Herzgegend der Ort des spirituellen Herzens ist, wo aber liegt mein Wesen körperlich betrachtet. Wenn ich meine spirituelle Liebe stärken will, dann fühle ich in die Herzmitte, aber wenn ich den Bezug zu meinem Urgrund stärken möchte, wohin lenke ich dann meine Aufmerksamkeit? Dieser körperliche Ort ist der Hara-Punkt. Der Hara-Punkt befindet sich im Beckenbereich eine Handbreit unter dem Bauchnabel. In den Kampfkünsten spielt er eine ganz wichtige Rolle, weil er Standfestigkeit und innere Kraft schenkt. Aber nicht nur dort ist er wichtig. Hara ist der Ort der Quelle unseres Lebens, von hierher kommt und strömt uns Kraft zu. Ich habe es selber als eine ungeheure Unterstützung erfahren, als ich begann, meine Aufmerksamkeit immer wieder auf diesen Punkt des Körpers zu legen. Wirkliche Tiefe im Leben und das heißt immer im Wesenskontakt zu sein, wirkliche Tiefe entsteht genau an diesem Punkt. Es handelt sich dabei natürlich um einen geistigen Ort unseres geistigen Körpers, der sich im fleischlichen Körper manifestiert.
Versuche also immer wieder Deine Aufmerksamkeit darauf zu lenken, in der Mitte Deines Körpers verankert zu sein, dann wirst Du auch immer mehr in der Mitte Deines Lebens ankommen.
Noch grundlegender ist die Übung, sich selber zu spüren. Es ist der Anfang aller Entwicklung und aller Spiritualität. Frage Dich im Laufe des Tages immer wieder mal, was Du gerade spürst, was Du möchtest, wie es Dir geht und spüre in Dich hinein, damit Du die Antwort entdeckst. Das ist schon Übung genug.
Und jetzt zum Abschluss noch diese Übung: Verbinde Dich mit dem unendlichen Strom der Liebe Gottes, bewege Dich in dieser Liebe, sei diese Liebe. Das hilft Dir, mit diesem Strom, der Dein Leben durchflutet, in Kontakt zu kommen und so zu Dir selber.