Wie du dir selbst treu bleibst

30. Dezember 2023

Wir werden alle im Laufe unseres Lebens uns selbst untreu, wir verlassen unseren eigenen Weg, folgen anderen Spuren, die nicht unsere sind. Und so bewegen wir uns irgendwann auf einem Pfad, der uns fremd erscheint, wo wir gewiss gut funktionieren, aber wo wir ebenso spüren: Das ist gar nicht mein Weg, ich fühle mich so fremd im eigenen Leben. Aber warum tun wir das? Warum können wir manchmal so zielsicher unseren eigenen Weg verfehlen? Ich spreche hier über das, was im Neuen Testament Versuchung genannt wird. Warum also lassen wir uns so leicht versuchen?


Was willst du eigentlich?

Nun, den ersten Grund sehe ich darin, dass du vielleicht nicht weißt, was du wirklich willst. Ja, wir sprechen oft davon: Dies will ich und das will ich nicht. Wir geben dadurch vor zu meinen, was wir wirklich wollen. Doch viele dieser Wünsche sind reine Vorstellung, sind übernommene Muster von unseren Eltern und Freunden. Wir haben einen Sinn dafür, was von uns gefordert und gewünscht wird. Und so reagieren wir und wir wissen, was wir artig zu sagen haben, wenn man uns fragt. Es ist eben gar nicht so leicht zu wissen, was man selbst wirklich will. Zu diesem Wissen wieder vorzudringen, das ist eine sehr wichtige Aufgabe im Erwachsenenalter. Und auch bei solchen, die ihren Willen oft durchsetzen, die so unerschütterlich in dem sind, was sie vorgeben zu wollen. Trau dem nicht! Gerade wenn besonders viel Energie ins Durchsetzen des eigenen Willens investiert wird, kannst du davon ausgehen, dass es sich hier nicht um den wirklich eigenen Willen handelt. Denn dieser eigene Wille, der wirkliche eigene Wille, nicht der oberflächliche, der sitzt viel tiefer, der entspringt nicht nur aus einem Aspekt oder einer Teilpersönlichkeit von dir, sondern aus dem innersten Selbst. Und wenn ich diesen Willen gefunden habe, wird es meistens ganz ruhig und klar.


Dein Wille macht einsam

Keinen Zugang zum eigenen Willen zu finden, kann auch daran liegen, dass du innerlich sehr unsicher bist. Du willst es möglichst vielen recht machen, möchtest ihnen gefallen und angesehen sein. Das ist verständlich und zumeist liegt dahinter auch eine schmerzhafte Erfahrung des Getrenntseins und des Vorwurfs anderer dir gegenüber. Doch wenn du deinen Willen finden und leben möchtest, dann wirst du damit leben müssen, dass er dich auch in einsame Situationen führen wird. Wer seinen eigenen Weg geht, darf sich nicht wundern, dass er oder sie alleine ist. Die Verschmelzung mit der Gruppe, das völlige Aufgehobensein in einem "Wir", hat den Preis, das Ich zu verlassen und den eigenen Weg ebenso.

Für mich wäre die ideale Gemeinschaft die, in der ich ganz ich sein darf, ohne Gefahr zu laufen, nicht mehr dazuzugehören. Du darfst deinen Weg gehen und du darfst deinen Willen finden und verwirklichen, ohne dass du dich dafür entschuldigen musst oder ein schlechtes Gewissen hast.


Dein Wille kann alles verändern

Der eigene Wille kann auch zu Konflikten führen. Wenn du sehr auf Harmonie aus bist, dann wird dir das natürlich schwerfallen. Der Wille verlangt es, dass du Disharmonie aushältst und du es ertragen kannst, dass andere es anders sehen und wollen. Wir müssen nicht alle das Gleiche wollen, wir dürfen unterschiedlich sein und sind es natürlich auch. Wille ist ja nicht emotional, sondern entsteht aus einem inneren tiefen Wissen, aus einer bestimmten Geistigkeit heraus. Auf der oberflächlichen Ebene ist er mit dem logischen Denken verknüpft. Doch wenn du weiter in die Tiefe gehst, dann entsteht der Wille aus dem Punkt oder dem Raum in dir, wo das Göttliche Ich und dein Ich in eins fallen. Wo also der göttliche Wille mit deinem identisch ist. An dieser Stelle gibt es kein Zögern oder kein Zweifeln, sondern es ist ein Wille, der manchmal schlagartig ins Leben trifft. Und dann plötzlich kündigt jemand seinen Arbeitsplatz, zieht fort, wandert aus oder tritt in ein Kloster ein. Ein solcher tiefer Wille schlummert in uns allen und er entwickelt sich meistens nicht zaghaft, sondern ruht am Fuße deines Seins und wartet verwirklicht zu werden. Das ist deine Berufung, es ist, so könnte man sagen, ein metaphysischer Wille, ein Wille nicht allein aus kluger diesseitiger Überlegung.


Wofür stehst du?

Aber gehen wir schrittweise vor und schauen, was dir helfen kann, deinen Weg zu finden und vor allem, ihm treu zu bleiben. Und da ist das erste, dass du dir darüber im Klaren werden solltest, was dir wirklich wichtig ist. Ich schätze mal, dass 90% der Menschen jeden Tag Dinge erledigen, die sie eigentlich nicht wollen, unter dem Deckmantel der Freiheit und des eigenen Willens. Die meisten sind noch gar nicht in die Tiefe vorgedrungen, die sich enorm von dem unterscheidet, was wir im Alltäglichen als unseren Willen ausgeben. Wir irren alle herum und meinen, genau das ist es, was wir wollen. Wir gehen zur Arbeit, wir leben mit Menschen zusammen, wir essen diese Nahrung, wir hören jene Musik, wir ziehen uns auf diese Art und Weise an. Aber ist es das, was du wirklich willst, was du wirklich, wirklich willst, oder folgst du Moden und Gewohnheiten? Es geht also darum, dass du wissen solltest, was du wirklich willst. Und dazu zählen auch deine Werte. Denn damit beginnt es ernst zu werden. Deine Werte werden durch deinen Willen gelebt und nicht durch deine Emotionen. Emotionen sind untreue Gesellen, die kommen und gehen, wie sie selbst wollen. Der Wille ist stetig, er bleibt und kann dir auch sagen, was jetzt zu tun ist, auch wenn es sich nicht mehr gut anfühlt und vielleicht sogar viel auf dem Spiel steht. Was sind also deine Werte, für die du einstehst? Freiheit? Liebe? Güte? Mitgefühl? Sicherheit? Unversehrtheit? Wofür brennst du innerlich? Wenn du das nicht weißt, wofür möchtest du dann einstehen?


Wer bist du?

Es ist so ungeheuer wichtig zu lernen, dass du dich einfach so geben darfst, wie du bist - wie du wirklich bist. Wir haben alle verschiedene Anteile, die in unterschiedlichen Situationen die Kontrolle übernehmen. Mal ist der wütende Anteil bestimmend, mal der hungrige, und dann wieder der Teil in dir, der einen Film gucken will. Das ist ganz normal. Doch jenseits dieses Teile-Karussells in uns gibt es eine Qualität, die sich deutlich von den Teilen unterscheidet. Und wie du dort bist, was dort "geschrieben" steht, das ist es, was du wirklich willst, dort steht sozusagen, wer du wirklich bist. Und von hier aus kannst du auch so sein, wie du bist.
Lerne zudem anderen mitzuteilen, was du willst. Es ist im Zusammenleben mit anderen schwer, wenn jemand dabei ist, der nie sagt, was er oder sie will. Sage, was du willst aber bestehe nicht immer darauf, dass das auch geschieht. Es gibt einen Willen, der verwirklicht werden muss, und es gibt einen Willen, der Kompromisse eingeht, je nachdem, um was es sich handelt.

 

Der Wille aus der Tiefe

Es gibt bei der Treue zu deinem Weg einiges zu bedenken, was ich dir jetzt noch nahebringen möchte.
Dein wirklicher Wille kommt aus einer besonderen Tiefe und ist eben nicht das, was ich gerade so will. Ich will jetzt essen, ich will fernsehen, ich will nach draußen oder ich will dieses Buch lesen. So sagen wir. Alles gut und schön. Aber dahinter verbirgt sich nicht der tiefere Wille, um den es mir geht. Der entsteht wie aus einer Tiefe und, wie ich schon sagte, entspringt aus dem Raum, wo das göttliche Ich und das persönliche in eins fallen. Es gilt also, diesen Zugang zu stärken und sich auf den Weg des tieferen Willens in dir zu begeben. Wir haben dafür oft andere Worte und sprechen von Berufung. Damit drücken wir aus, dass wir nicht allein daran beteiligt sind, sondern dass Gott selbst ein Teil des Willens ist. Doch Berufung ist nie etwas, was dir zuwiderläuft, was nichts damit zu tun hat, was du kannst und wer du bist. Es ist die Verwirklichung deines tiefsten Wesens und passt daher ganz und gar zu dir. Es ist ein Wille aus dem göttlichen Selbst heraus.


Auch der Wille wandelt sich

Du kannst einiges dafür tun, damit du diesen Willen findest und leben kannst. Zunächst hüte dich vor Rigidität. Denn immer dann, wenn es rigide ist, ist es nicht nur dein Wille, sondern etwas anderes tritt hinzu und kann dazu führen, dass du eben nicht deinen Weg gehst, sondern einen anderen. Dein Weg sollte nicht starr sein. Das heißt, dass bis zu einem gewissen Maß Kompromisse dazugehören. Der wirkliche Wille verwirklicht sich im Übrigen auch unter widrigen Umständen, wenn man ihn gefunden hat, kennt er keine Grenzen, die ihn noch gänzlich aufhalten können.
Sei dir bewusst, dass manches sich in unserem Leben ändert, manchmal auch unser ganzes Lebenskonzept, und manchmal finden wir unter unserem tiefsten Wunsch und Willen einen noch tieferen. Es gibt immer Entwicklung und auch der Wille entwickelt sich und zeigt sich in jungen Jahren anders als im Alter, und doch kann es derselbe Wille sein. Und das heißt, bleibe dir treu und sei offen. Mache aus Treue keine Versklavung, sondern etwas Dynamisches. Das dient dem Leben in der Regel am meisten.

 

Du brauchst Mut!

Um deinen Weg zu gehen und einen Willen zu leben, braucht es Mut, und diesen Mut kann man entwickeln, daran kann man arbeiten. Deshalb musst du nicht gleich Bungee Jumping machen oder über eine Hängebrücke gehen, die über einen riesigen Abgrund gespannt wurde. Es geht hier um den Mut, anders zu sein, den Mut, den eigenen Weg zu gehen, den Mut, alleine zu sein, den Mut, irren zu können. Folge nicht immer den Wünschen anderer und dem, was Freunde und Familie sagen. Mute ihnen dich mit deinen Wünschen zu. Du darfst auch eine Zumutung sein, und du darfst dich selbst zumuten. So lernen andere, dass du deinen eigenen Weg gehst, und du lernst, diesen zu gehen. Dazu gehört, den Dissens auszuhalten und an deiner Unabhängigkeit zu arbeiten - was der Begegnung und der Beziehung nicht widerspricht.


Deine zwei Möglichkeiten 

Am Ende des Tages hast du ohnehin nur eine Wahl aus zwei Alternativen. Du kannst dich entscheiden, deinen eigenen Weg zu gehen, und das heißt, dass du nicht immer, aber immer mal, alleine bist und alleine die Verantwortung dafür tragen musst. Nur wer den Weg der Allgemeinheit geht, kann sich der Illusion hingeben, nicht verantwortlich zu sein - die anderen haben es ja auch gemacht. Nein, du bist immer verantwortlich für deinen Weg. Und im Grunde ist es doch so: Du gehst auch immer deinen Weg, auch dann, wenn du den öffentlichen Weg, den Weg der Familie oder der Gesellschaft gehst, dann machst du diesen zu deinem. Und wenn du es mutig angehst und diesen Weg so veränderst, dass er zu dir passt, so muss das nicht einmal ein Schaden sein. Wie gesagt, der wahre Wille kann mit jeder Situation umgehen und sie so verändern, dass der tiefe Wille dennoch gelebt wird.

Du kannst es auch anders machen und verzichtest auf deinen Willen und einen eigenen Weg, du lebst nicht dich, sondern das, was andere wollen und für gut befinden. Dann lebst du nicht dein Leben, sondern eine Schablone, und Schablonen haben die Angewohnheit, dich nach und nach auszuhöhlen, da sie den Zugang zum tieferen Willen verhindern. Du wirst dann eine Leere in dir spüren, wirst mit deinem Leben nicht mehr in Kontakt sein. Du funktionierst vielleicht wunderbar, du sagst brav danke, wenn man danke sagt, du verdienst Geld, weil man es braucht, du erziehst die Kinder, weil man es halt so macht - machen doch alle so, im Sommer fährst du in den Urlaub, steht ja auch in der Zeitung, dass man das so macht.

 

Der Weg beginnt

Doch dann und darunter macht sich vielleicht gerade eine Kraft breit, die irgendwann vielleicht wie ein Vulkan explodiert, und damit explodiert dein ganzes Leben - alle wundern sich, was du denn jetzt plötzlich hast, was ist bei dem denn los, was hat sie denn? Und dann kann dein Weg vielleicht beginnen, dann kann sich ein anderer Wille verwirklichen. Dann beginnt der Weg der Treue zu dir selbst.

korrigiertes Transskript


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