Wie du Gottes Gegenwart im Alltag spürst – wirklich spürst

10. Mai 2025

In meiner Kindheit war es noch selbstverständlich, mittags und abends den Engel des Herrn zu beten – den sogenannten Angelus. Eine Glocke rief dreimal täglich zum Innehalten auf: morgens um sechs, mittags um zwölf, abends um sechs oder sieben Uhr. Dieses kurze Gebet war eine Art „Alltagsliturgie“, eine vereinfachte Form des klösterlichen Stundengebets. Es entstand, weil die Menschen auf dem Feld oder bei der Arbeit nicht wie Mönche siebenmal täglich beten konnten – und doch wollten sie Gott nahe sein.

Wenn die Glocke läutete, unterbrach man die Arbeit und betete. Es war ein einfacher, aber wirksamer Impuls: eine Erinnerung, dass es mehr gibt als nur das Sichtbare, das Funktionieren, das Tun. Eine Unterbrechung, die den Raum öffnete für das Unsichtbare.

Doch wie können wir heute – in einer säkularisierten, digitalen und oft übervollen Welt – die Gegenwart Gottes im Alltag spüren? Wie gelingt es uns, nicht in To-do-Listen und Multitasking unterzugehen, sondern ein spirituell durchdrungenes Leben zu führen?

Beten als spirituelle Ressource

Beten bedeutet nicht nur, Worte zu sprechen. Es ist eine Haltung, ein Weg zur Verankerung. In der Bibel heißt es: „Betet ohne Unterlass.“ Das klingt zunächst überfordernd. Aber es meint nicht, dass wir permanent liturgische Formeln wiederholen. Gemeint ist ein Zustand der inneren Verbindung, eine spirituelle Fühlung durch den Tag hindurch.

Klöster leben dieses Prinzip mit dem Stundengebet: sieben feste Zeiten täglich, an denen innegehalten und gebetet wird. In vielen klösterlichen Gemeinschaften sind daraus drei zentrale Zeiten geworden: morgens, mittags und abends. Diese Rhythmisierung des Tages formt das Bewusstsein. Sie hilft, die göttliche Präsenz nicht zu vergessen – sondern immer wieder neu wahrzunehmen.

Das Gebet wird dabei zur spirituellen Pädagogik: durch Wiederholung, durch Rituale, durch Worte, die sich einprägen. Es geht nicht darum, ständig nachzudenken oder zu reflektieren. Vielmehr soll sich das Göttliche wie ein innerer Klangraum öffnen – jenseits des rationalen Denkens.

Disziplin oder Regulation?

Traditionelle Spiritualität kennt das Prinzip der Disziplin – ein Wort, das oft negativ klingt. Doch im Kern meint es Selbstregulation: die Fähigkeit, dranzubleiben, auch wenn es schwerfällt. Es geht nicht um strenge Kontrolle, sondern um liebevolle Verlässlichkeit.

Denn spirituelles Leben reift nicht durch gelegentliche Highlights, sondern durch das beharrliche, manchmal unspektakuläre Dabeibleiben. Immer wieder kehren wir zurück zur Quelle – durch Stille, Gebet, Natur, Rituale oder Körperwahrnehmung. Und genau daraus entsteht Transformation.

Gott im Alltag erfahren

„Aus der Gegenwart Gottes leben“ – das bedeutet, die eigene Gottesvergessenheit zu durchbrechen. Der Alltag ist oft so dicht, dass für spirituelle Erfahrung kaum Raum bleibt. Doch Gott will nicht nur im Tempel wohnen, sondern mitten unter uns – beim Einkaufen, Wäschewaschen, in der Begegnung mit anderen.

Diese Präsenz zu spüren ist kein magischer Zustand, sondern ein Weg. Ein Lebensweg. Er beginnt mit der Entscheidung: Will ich das wirklich? Bin ich bereit, Zeit und Energie zu investieren? Niemand kann das für uns übernehmen – auch keine App, kein KI-Coach. Es geht um ein inneres Üben, um die Schulung der Wahrnehmung für das Feine, das Tiefe, das Unsichtbare.

Was du konkret tun kannst

  • Stille Zeiten schaffen – morgens, mittags oder abends. Auch fünf Minuten bewusster Stille sind viel.

  • Spaziergänge als Pilgerwege betrachten – selbst der Weg zum Supermarkt kann ein heiliger Weg werden.

  • Natur als Resonanzraum nutzen – Blumen pflegen, mit Bäumen sprechen, im Park sitzen.

  • Den Körper einbeziehen – durch Yoga, bewusstes Atmen, Tanzen, Dehnen.

  • Kleine Erinnerungshilfen nutzen – eine Kastanie in der Jackentasche, ein Kreuz an der Wand, ein kleines Bild im Geldbeutel.

  • Neue Rituale einführen – z. B. bei jeder Kirche, an der du vorbeigehst, innerlich danken oder ein kurzes Gebet sprechen.

  • Emotionale Arbeit nicht vergessen – starke Emotionen wie Wut oder Dauerärger blockieren oft die feineren Wahrnehmungsschichten. Innere Ruhe ist ein Nährboden für spirituelle Tiefe.

  • Den Alltag segnen lernen – durch bewusstes Lachen, Schmecken, Riechen. Auch das kann Gebet sein.

Ein Weg ohne Ziel – aber mit Tiefe

Der spirituelle Alltag ist kein Sprint, kein Projekt, das man abschließen kann. Es ist eher wie das Leben im Kloster: nie ganz abgeschlossen, nie „erledigt“. Doch wer diesen Weg geht, erfährt über die Jahre eine Wandlung – leise, aber tief.

Das Göttliche will kein Besuch sein, sondern ein Mitbewohner im Alltag. Es will mit dir lachen, weinen, essen, arbeiten. Und dich stärken – damit du die Welt mit neuen Augen siehst.

Du bist eingeladen, dich zu erinnern. Und zurückzukehren. Wieder und wieder.


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