Jahrelang habe ich mich schwer getan mit dem klassischen Beten. Oft klang es für mich wie eine Art Bestellservice. Ich habe ein Anliegen und bestelle das beim lieben Gott. Ich suche einen Parkplatz? Dann schnell ein Gebet und schon ist die freie Stelle gefunden – oder auch nicht.
Ich will, dass meine Oma wieder gesund wird und schon macht sich der ganze Himmel daran, dass das auch wahr wird. Und so könnte ich viele weitere Beispiele nennen. Was wurde nicht alles schon gewünscht und erbeten! Und oftmals auch in großen Nöten, dann, wenn man wirklich verstehen kann, dass der Wunsch in Erfüllung gehen möge.
Krankheit, Armut, Hunger, Gefahr, Verbrechen, Gewalt. Es gibt so viele Gelegenheiten zu beten und man versteht auch gerade in solchen Situationen, dass man sich wünscht, dass Gott eingreift und er es so richtet, wie es gut für uns und unsere Lieben ist oder wäre.
Aber mussten wir nicht allzu oft erkennen, dass sich gar nichts getan hat, dass unsere Wünsche keine Berücksichtigung fanden. Sie wurden offenbar ignoriert und alles ist so gekommen, wie wir es befürchtet hatten.
Gott, der nicht antwortet
Vielen Menschen ist es so gegangen wie ich es eben beschrieben habe und sie haben dann ihren Glauben an den Nagel gehängt, haben sich gesagt, ein Gott, zu dem ich spreche und der mir nicht antwortet oder meine Wünsche nicht berücksichtigt, an einen solchen Gott will und kann ich nicht glauben.
Kann man die Mutter des verstorbenen Kindes nicht verstehen, die mit Gott nichts mehr zu tun haben will, da Gott es nicht für nötig befunden hat ihr Kind zu retten?
Kann man es nicht verstehen, dass der Gedanke, dass es da einen Gott gibt, der aber auf seine eigenen Kinder so wenig hört, dass man einen solchen Gott ablehnt?
Ich kenne noch andere Situationen des Gebetes zum Abgewöhnen. Ein Mitbruder wurde in seinen letzten Stunden mit einer unendlichen Leier an Rosenkränzen bedacht, sodass er keine ruhige Minute mehr hatte. Und auch das hat mich abgeschreckt: Das leiernde Gebet alter Frauen in meiner Heimatgemeinde und an verschiedenen Wallfahrtsorten.
All das hat es auch mir verleidet zu beten.
Ohne Gebet geht es nicht
Aber man kommt nicht drumherum, man kann sich dem Gebet weder in einem Kloster noch als Christ widersetzen. Es ist ein ganz wesentlicher Teil des spirituellen Lebens.
Also wird es Zeit, sich neue oder alte Gedanken zu machen, was denn Gebet überhaupt ist.
Immerhin ist das Gebet die älteste spirituelle Praxis. Der bange und bittende Blick nach oben, wenn in der Frühzeit der Menschen ein Gewitter anbrach, das Hingeben einer Opfergabe, wenn es darum ging, die Ernte zu sichern und die Mächte und Gewalten zu zähmen.
Das Begraben der Stammesangehörigen in einer besonderen Zeremonie. Immer und überall spielen Gebete eine wichtige Rolle.
Und selbst Menschen, die sich nicht explizit religiös definieren, haben zu bestimmten Zeiten ihres Lebens den Wunsch, zu beten. Vor einer Prüfung, in Not und Angst lassen sich selbst hart gesottene unreligiöse Menschen zu einem Bittgebet verleiten.
Und es spricht auch die Erfahrung vieler Beter dafür, dass wir beten. So wird das Gebet und die Praxis des Gebetes oft damit beschrieben, dass es Halt gibt, dass es tröstet, es führt zu der Erfahrung des Aufgehobenseins und eröffnet den Raum in die Ewigkeit und damit in die Weite.
All das sind gute Gründe sich mit dem Gebet erneut zu beschäftigen.
Der "liebe Gott"
Eines der Grundprobleme des Christentums ist ja meines Erachtens die sehr personale Vorstellung von Gott. Dass da nämlich ein einzelnes Wesen hockt und schaut, was ich tue. Darauf läuft es letztlich hinaus. Das verführt dazu anzunehmen, dass ich es letztlich mit einem Menschen zu tun habe, der Superkräfte hat.
Das Gebet und die Art wie ich bete, sagt immer etwas darüber aus, wie ich Gott sehe und wie das grundsätzliche Verhältnis, das ich zu ihm habe, aussieht.
Denn Gebet ist letztlich Kommunikation und von der wissen wir, dass jedes gesagte Wort verschiedene Ebenen hat, die etwas Tieferes offenbaren.
Was aber bedeutet das Gebet? Dieser Frage möchte ich nicht ausweichen, ganz im Gegenteil, Ich möchte Dir mitgeben, wie ich das Gebet sehe.
Und da fällt mir als Erstes ein, dass für mich das Gebet ein großer Austauschprozess zwischen dem Göttlichen und mir ist.
Gebet als Austauschprozess
Meine Gebete und meine Aufmerksamkeit dem göttlichen Gegenüber ist mein Invest, ist das, was ich in diese Beziehung hineingebe. Und aus dem göttlichen Raum kommen Kraft und Energie. Die göttliche Energie kommt durch unser Gebet in diese Welt. Sie ist natürlich schon da, wird aber durch unser Gebet verstärkt.
In dieses Gebet kann alles einfließen, alles, was mich jetzt bewegt, was in mein Bewusstsein tritt. Aber es geht nicht darum, dass ich bestimmte Wünsche äußere. Es geht darum, mein Bewusstsein zu offenbaren, es geht darum, mein Verlangen hinzugeben. Wir wissen doch letztlich zu wenig, was wirklich gut und richtig ist, oder?
Wenn ich also bete, dann bekomme ich Kraft aus dem göttlichen Raum. Das kann man spüren und viele berichten genau das. Diese Kraft anzunehmen und in meinen Körper fließen zu lassen, das ist meine Aufgabe.
Und so wird das Gebet vor allem zu einer Übung, in meinem Alltag immer wieder diesen Kontakt zum Göttlichen zu schaffen, mich immer wieder an Gott zu wenden, mich für das göttliche Bewusstsein zu öffnen.
Das Leben verändert sich, wenn ich mehr aus diesem Kontakt leben, wenn ich mehr von diesem Kontakt und dieser Begegnung in meinem Leben habe. Es wird tiefer, kraftvoller und getrösteter.
Gebet als Lebenshaltung
Und so kann das Gebet zu einer Lebenshaltung werden, zu einer grundlegenden Übung für unser Leben hier auf Erden. Weil mich das Gebet daran erinnert, weil es mich davor bewahrt zu vergessen, dass ich nicht ein Mensch bin, der spirituelle Erfahrungen macht, sondern ein spirituelles Wesen bin, dass menschliche Erfahrungen macht.
Und da spielt es dann keine Rolle, welche Worte ich nutze, ob ich überhaupt Worte nutze, es spielt allein diese Kontaktstelle, dieser Bereich eine Rolle, an dem sich das Göttliche mit meinem Wesen verbindet. Dann beginnt dieser tiefe und geheimnisvolle Austauschprozess.
Für mich gehört daher neben dem Sprechen formaler und freier Worte immer auch das Spüren dazu. Beten ist nicht zuerst ein kognitiver Vorgang, sondern ein spürender Vorgang.
Und natürlich gehört die Meditation auch dazu. Oder der bewusste Einsatz. Wenn ich hier das Wort bewusst betone, dann deshalb, weil Gott vor allem dann wirken kann, wenn ich etwas bewusst und selbstlos tue. Daher die Bedeutung der Selbstlosigkeit, sie schafft in dieser Welt eine Art Lücke, in die hinein Gott seine Kraft fließen lassen kann. Damit das aber geht, muss diese Selbstlosigkeit auch bewusst sein. Daher werden wir ja auch immer zur Wachheit angehalten. Das ist kein Selbstzweck, das ist notwendig, das ist der Weg Gottes in diese Welt hinein. Und unser Gebet braucht auch diese Wachheit, denn dann erst kann die spirituelle Energie in uns hineinfließen.
Bedeutung des Herzens für das Gebet
Was wir hier im Wesen weniger kultiviert haben, ist die Betonung des Herzens und die Kultivierung des Herzens in unserer Spiritualität. Im östlichen Christentum gibt es die Tradition des Herzensgebetes. Wir müssen uns eine solche erst noch schaffen. Ein Gebet wird dadurch in mir und zwischen Gott und mir wirksam, wenn ich es aus dem Herzen spreche und die Kraft Gottes empfange. Und damit ist nicht eine Emotionalisierung des Gebetes gemeint. Das spirituelle Herz, es ist nicht allein eine Emotion, es ist viel mehr als das.
Spüre regelmäßig am Tag in Dein spirituelles Herz, also in das Herzchakra und lasse zu, was dann beginnt. Lasse zu, dass sich etwas in Dir öffnet und eine Energie Dich beginnt zu erfüllen.
Das Herz ist der Ort unseres Gebetes. Hier ist der Ort des Empfangens der Kraft Gottes.
Und es kann geschehen, dass Du beschenkt wirst, dass Du etwas empfängst, das Dich beglückt und bereichert und dass Du diese starke Verbindung zu Gott wahrnimmst und spürst.
Dann hast Du festgestellt, was Gebet bedeutet und worum es eigentlich geht.