Der vergessene Aspekt der menschlichen Heilung

15. Juli 2023

Früher habe ich mit Krebspatienten, HIV-positiven Männern und Frauen, Sterbenden und ihren Betreuern gearbeitet. Dabei erinnere ich mich an einen Mann, der an Prostatakrebs erkrankt war und später verstarb. Wir trafen uns bei einem Vortrag, den ich über Spiritualität und Krebs hielt. Er sprach mich an und wir verabredeten uns. Dieser Mann hatte bereits viel im Leben erreicht und war ein erfolgreicher Unternehmer.

In unserem Gespräch erklärte er mir, dass er mich angesprochen hatte, weil ich offen über den Tod sprach. Die meisten anderen Redner vermieden dieses Thema. Ich bin auch heute noch der Meinung, dass der Tod wie ein Elefant im Raum sitzt, sobald jemand erfährt, dass er oder sie Krebs hat. Jeder sieht ihn, aber keiner spricht darüber.

Der Tod muss jedoch irgendwann akzeptiert werden. Die meisten Menschen schauen weg, am liebsten nach unten. Nur wenige haben die Kraft, den "Elefanten" im Raum zu sehen und den Tod in ihr Leben zu lassen. Wenn man es jedoch tut, kann sich etwas verändern. Man wird nicht depressiv, sondern stark. Und das kann für den weiteren Verlauf der Heilung wichtig sein.


Jede Krankheit hat mehrere Ebenen

Was ich aus meiner Erfahrung mit diesem Mann gelernt habe, ist folgendes: Krankheit hat mehrere Ebenen. Ärzte kümmern sich meist um die körperliche Ebene, was zweifellos wichtig ist. Daneben gibt es die psychische Ebene, die allgemein akzeptiert ist.

Darüber hinaus gibt es jedoch zwei weitere Ebenen, die oft vernachlässigt werden: die geistige und die spirituelle Ebene. Diese beiden Bereiche möchte ich heute ansprechen.

In der Regel konzentrieren wir uns hauptsächlich auf die körperliche Ebene und möglicherweise noch auf die psychische Ebene. Wir vereinbaren Arzttermine, kümmern uns um Medikamente und lassen Untersuchungen durchführen – all das ist zweifellos wichtig.

Auf dieser Ebene dreht sich alles hauptsächlich um Pillen und Chemie und eine fragmentierte Sichtweise auf den Menschen gehört dazu. Der Lungenarzt betrachtet nur die Lunge, der Kardiologe nur das Herz – als könne man alles so voneinander trennen.


Wie wir über den Körper sprechen

Werfen wir doch einmal einen Blick auf unsere Sprache. Wenn jemand Herzprobleme hat, sagen wir oft: "Die Pumpe macht es nicht mehr." Wir technisieren unseren Körper, machen einzelne Organe zu Maschinen.

Ähnlich verhält es sich mit Vergleichen zu Körperfunktionen. Wenn jemand gerne isst, sagten wir früher, dass er "isst wie ein Scheunendrescher". Männer machen im Fitnessstudio oder zu Hause keine Sportübungen, sondern "Workouts". Am Körper wird gearbeitet, gewerkelt und geschraubt, nicht geübt.

Die Sprache zeigt deutlich, wie wir zu unserer körperlichen Erscheinungsform stehen. Es ist daher nicht verwunderlich, dass wir uns damit zufriedengeben, nur mechanisch behandelt zu werden, wenn wir erkranken.

In Notfällen und bei Verletzungen ist dies sicherlich sehr hilfreich. Aber sobald es komplexer oder chronisch wird, versagen diese Systeme. Dann benötigen wir einen erweiterten Blickwinkel – eine ganzheitliche Betrachtungsweise.

Wie ich bereits erwähnt habe, unterteile ich die verschiedenen Ebenen in die geistige und die spirituelle Ebene. Obwohl diese Trennung künstlich erscheinen mag, halte ich sie dennoch für sinnvoll.


Duer geistige Ebene

Beginnen wir mit der geistigen Ebene. Was umfasst sie? Für mich gehört zur geistigen Ebene vor allem das, was wir generationenübergreifend erleben. Normalerweise betrachten wir psychische Belastungen als Resultat von aktuellen Lebensumständen, die uns belasten oder stressen. Dann schauen wir vielleicht noch in unsere Vergangenheit, aber immer im Rahmen unseres Lebens von der Geburt bis heute. In dieser Zeit muss etwas geschehen sein.

Es wurde jedoch festgestellt, dass es Einflüsse gibt, die über unser eigenes Leben hinausgehen. Ereignisse aus früheren Generationen können Einfluss auf unser Leben haben, selbst wenn wir nichts davon wissen.

Der Tod eines Lieblingsbruders unserer Mutter im Krieg, die Tatsache, dass die große Liebe unseres Vaters jemand anderen geheiratet hat, der Suizid eines Großonkels oder eine Totgeburt vor unserer eigenen Geburt – all das sind Einflüsse, die sich auf uns auswirken können.

Solche Einflüsse sind nicht in unseren Genen zu finden. Sie gehören zu einem geistigen Feld der Familie, das uns mit dem Schicksal anderer Familienmitglieder verbindet und manchmal sogar verstrickt. Manche Krankheiten haben hier ihren geistigen Hintergrund und sind Ursache für viel Leid.

Wir alle sind Teil eines solchen geistigen Feldes, das in unser Leben hineinwirkt. Es kann beispielsweise beeinflussen, welchen Beruf wir wählen, welchen Partner wir wählen oder eben auch nicht.

In Familienaufstellungen können wir immer wieder sehen, wie tief die Verstrickungen in unsere Familiengeschichte reichen können.

Ich glaube, dass eine solche Unterstützung bei allen größeren Krankheiten wichtig ist. Denn wenn es gelingt, diese Verstrickungen aufzulösen, kann das Leben wieder fließen und niemand muss für etwas "büßen", was er oder sie gar nicht getan hat.


Die spirituelle Ebene

Es gibt jedoch noch einen weiteren Aspekt, der uns zur nächsten und tiefsten Ebene führt. Viele Menschen erkranken meiner Meinung nach, weil sie keinen Zugang mehr zum Göttlichen oder Lebendigen haben. Damit meine ich nicht unbedingt eine Zugehörigkeit zu einer Kirche oder speziell zum Christentum. Man kann Christ sein, egal ob evangelisch oder katholisch, und dennoch keinen Zugang zu dieser Ebene haben.

Wenn wir die geistige Ebene durchlaufen haben, gelangen wir in den Bereich, der nur noch spirituell verstanden und benannt werden kann. Dort erreichen wir die Quelle des Seins und der Liebe.

Es ist vermutlich ein stiller Raum, eine schweigende Ebene, aber dennoch voller Lebendigkeit. Hier entspringt das Leben, hier finden wir die Quelle von frischem Wasser, Geborgenheit und Kraft.

Genau hier liegt das, was die meisten Menschen vermissen, ohne es zu wissen. Ich möchte nicht besserwisserisch oder arrogant klingen und erst recht nicht versuchen, andere spirituell zu vereinnahmen. Doch wir können all unsere Krankheiten und Krisen nicht allein auf medizinisch-naturwissenschaftlicher Basis heilen und lösen. Wenn wir uns nur darauf beschränken, bleiben wir von allem abgetrennt.

Die Medizin betrachtet die Dinge naturwissenschaftlich, und in diesem wissenschaftlichen Konzept ist die Trennung vom Untersuchungsobjekt zum Beobachter unverzichtbar. Die Lösung liegt jedoch in die entgegengesetzte Richtung. Nur die Verbundenheit wird uns retten, nur das Lebendige, die göttliche Quelle, wird uns heilen können.

Doch auf dieser Ebene verschieben sich bestimmte Begriffe und Haltungen, wenn wir über Krankheit sprechen. Die Frage, wann man gesund ist und wann geheilt, lässt sich dann nicht mehr rein medizinisch verstehen. Man kann gesund sein und dennoch an seiner Krankheit sterben, weil das Sterben zum Leben dazugehört und der Auslöser für den Tod letztendlich keine so große Rolle spielt.

Auf dieser Ebene gelingt es mir, einzuwilligen in die letzte Stunde meines Lebens und in das Ende meines Seins auf Erden. Ich bin mit Gott verbunden und werde dennoch sterben. Gesünder kann man gar nicht sein. Medizinisch betrachtet mag das eine Katastrophe sein, etwas, was verhindert werden sollte. Doch aus spiritueller Sicht ist es genau andersherum.


Was kann ich tun?

Nun, was sollten wir tun, wenn wir selbst erkranken? Und damit meine ich nicht nur einen Schnupfen oder einen verstauchten Fuß, sondern eine ernstere und vielleicht chronische Krankheit. Natürlich ist der Arzt oder die Ärztin die erste Ansprechperson. Aber danach sollten wir uns fragen: Aus welcher geistigen Dynamik heraus hat uns diese Krankheit erreicht? Welche Rolle spielen wir in unserer weiteren Familiengeschichte? Wie ist unsere Beziehung zum Geistigen überhaupt?

Und wie können wir unsere Heilung spirituell begleiten? Was könnte uns guttun? Es würde den Rahmen sprengen, hier alles im Detail zu erläutern, aber ich kann zu einem anderen Zeitpunkt und an anderer Stelle gerne darauf eingehen, was Du tun kannst.

Mir ist es vor allem wichtig, dass Du in einer solchen Situation nicht vergisst: Es gibt nicht nur die Medizin, sondern auch die geistige und die spirituelle Ebene einer Erkrankung und damit auch einer Heilung. Nutze beide für Dich.


korrigiertes Transskript


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