Die Geschichten von Jesus sind voll von Gleichnissen. Gleichnisse sind ja eine Form, bei der man eine abstrakte Sache mit einem Bild gleichsetzt. Jesus wählte dazu entweder Beobachtungen aus der Natur oder aus seinem Umfeld aus. Oder aber, er machte kleine Geschichten daraus, wie diese hier:
Wenn eine Frau zehn Drachmen hat
und eine davon verliert,
zündet sie dann nicht eine Lampe an,
fegt das Haus
und sucht sorgfältig, bis sie die Drachme findet?
Und wenn sie diese gefunden hat,
ruft sie die Freundinnen und Nachbarinnen zusammen
und sagt: Freut euch mit mir,
denn ich habe die Drachme wiedergefunden,
die ich verloren hatte!
Ebenso, sage ich euch,
herrscht bei den Engeln Gottes
Freude über einen einzigen Sünder, der umkehrt.
LK 15,8-10
Jesus nutzte diese literarische Form meistens, um etwas über den Himmel oder das Himmelreich auszusagen. Es ging also meistens um die kosmischen Zusammenhänge des Lebens. Wie auch sonst könnte man über diese Dinge sprechen, wenn nicht in Bildern. Denn Himmel und Hölle sind nicht so sehr vorsprachlich anzusiedeln, wie beispielsweise unsere Erinnerungen aus frühester Kindheit, sondern sind eher nebensprachlich oder sogar ganz außersprachlich anzusiedeln. Es gibt eben Erfahrungen, die lassen sich nicht in Sprache fassen. So ist es auch mit dem göttlichen Bewusstsein, was ein anderes Wort für den Himmel ist.
Warum gerade die Sklaven?
Ich habe mich lange Zeit gefragt, wie es kommt, dass vor allem Sklaven zu den ersten und wichtigsten Anhängern des jungen Christentums wurden. Ja, man kann sagen, dass alle Christen zu einem großen Teil spirituell von Sklaven abstammen. Sie haben das Christentum wesentlich mitgetragen und ließen sich leicht gewinnen. Was war an dieser Botschaft dran, dass sie bei diesen Menschen auf so fruchtbaren Boden fiel? Denn auch das Christentum hat den Sklavenhandel nicht beendet, zumindest nicht sofort, sondern erst viele Jahrhunderte später.
Ganz im Gegenteil, die Sklaven wurden aufgefordert, zu bleiben und nicht aufzubegehren.
Die Antwort finden wir, so meine ich, in unserem heutigen Zitat, über das ich gerne sprechen möchte.
Wie schon gesagt, sagt dieses Zitat aus dem Lukas-Evangelium etwas über das Bewusstsein Gottes, über das Himmelreich aus.
Es widerspricht nämlich auch heutigen Gedanken und Vorstellungen, was die Beziehung zwischen uns einzelnen Menschen und dem Kosmos, Universum oder was auch immer wir als letzte Realität annehmen, angeht.
Sind wir nur Kohlenstoff?
Ich kann mich an einen Film erinnern, in dem eine in Amerika bekannte spirituelle Frau interviewt wurde. Und sie sagte, dass wir im Grunde alle keine Rolle spielen, dass sich um uns im Kern niemand kümmert und für uns interessiert. Wir sind nur ein Haufen Kohlenstoff, der vergeht und nach 100 Jahren vergessen ist.
Und solche und ähnliche Vorstellungen gibt es viele. Wer materialistisch eingestellt ist, hat im Grunde keine andere Vorstellung. Wir leben und wir sterben und dann ist Schluss. Niemand interessiert sich im Kern für unser Leben. Ja, wir haben Freunde und Familie und sie lieben uns, wenn es gut geht. Aber wenn auch sie nicht mehr leben, was bleibt dann noch, was bleibt von der Liebe? Es bleibt nichts.
Die Natur interessiert sich nicht für uns und das Universum auch nicht. Und da im Materialismus kein Platz für Gott ist, brauchen wir in diesem Fall nach seinem Interesse auch gar nicht erst zu fragen.
Aber selbst wenn wir spirituell und religiös sind, selbst dann kann es sein, dass wir davon ausgehen, dass sich Gott um mein kleines Leben nicht kümmert. Es gibt so viele andere Dinge, große Fragen, noch größere Katastrophen und vor allem wichtigere Menschen.
Eine solche Einstellung hat es immer gegeben und wird es vermutlich auch immer geben.
Doch genau hier ist die Sollbruchstelle zum Christentum und zu dem, was Jesus uns vom Bewusstsein Gottes erzählt. Denn er sagt genau das Gegenteil.
Es geht um Dich!
Du bist wichtig, Du bist sogar zentral. Das ganze Bewusstsein Gottes hat sich von Anfang an auf Dich hin ausgerichtet.
Jetzt sagst Du vielleicht: Moment mal und was ist mit den anderen? Und hier beginnt dann der Fehler, den viele machen. Sie verwechseln, wie so oft, unsere Welt mit der Welt Gottes. Das göttliche Bewusstsein ist so groß und so weit, dass es kein Problem damit hat, sich ganz auf Dich hin, auf mich hin und auf alle anderen hin, je ganz auszurichten. Menschen können das nicht. Sie können nur eins richtig, Fernsehgucken oder Zeitung lesen. Wir sind begrenzt, ganz klar. Aber Gottes Geist ist nicht begrenzt.
Und deshalb zeigt uns Jesus in dieser kleinen Gleichnisgeschichte, dass Gott ein Interesse an Dir hat, ein wirkliches Interesse. Du bist nicht umsonst hier, nicht per Zufallsentscheid hier hingestellt, Du bist nicht einfach nur ein wenig Fleisch und Knochen und nach 80 Jahren ist Schluss mit allem. Du bist genauso wie ich und alle anderen, eine Hoffnungsträgerin, ein Hoffnungsträger.
Es kommt auf Dich an.
Wenn Du Dir das einmal auf der Zunge zergehen lässt, dann erfasst Du die Ungeheuerlichkeit dieses Ansatzes.
Vielleicht ist das Christentum gar nicht die Bewegung der Massen, eine Ansammlung von Gemeinden und Gemeinschaften, vielleicht ist es eher eine Bewegung der Einzelnen für die Einzelnen, für die, die es verstanden haben?
Und daher ist es auch so, dass der Himmel Dich als Perle sucht. Und wenn er Dich gefunden hat, dann wird es ein Fest geben, was nichts anderes bedeutet, als dass eine Welle der Freude durch das göttliche Bewusstsein rauscht.
Du fehlst!
Du fehlst, weil Du selber ein klitzekleines Teil dieses göttlichen Bewusstseins bist, das sich in diese Welt inkarniert hat und sich gewollt abgespalten hat. In diese Welt hinein bist Du gekommen, wo Du frei entscheiden kannst, ob Du an Deiner Zugehörigkeit festhältst, oder Dich in dieser Welt verlierst, Dich von den Wünschen nach Macht, nach Besitz und Dominanz bestimmen lässt. Wenn Du dem anheim fällst, dann bist Du wie eine verlorene Perle, oder wie ein verlorener Sohn.
Zurückzufinden zu Deiner wirklichen Identität, zu dem, wer Du bist, zurückzufinden zu Deiner Zugehörigkeit, das ist das Ziel hier auf Erden.
Dann bist Du wieder Teil der weltweiten und kosmischen Geschwisterschaft, Teil dieses Bundes der Menschen, die nicht vergessen haben, dass sie dazugehören – und Du gehörst dazu, auch wenn Du das immer wieder vergessen solltest, immer wieder fällst. Das ist nicht schlimm, wichtiger ist es, dass Du Dich selber immer wieder daran erinnern lässt.
Und die Sklaven? Ihnen ging es ja nicht anders. Sie haben nie erfahren, dass es um sie geht. Wenn sie nicht mehr hilfreich waren oder sich wehrten, dann wurden sie einfach umgebracht. Ein Sklavenleben bedeutet nicht viel, es war einfach ein Besitz, wie man einen Sack Kartoffeln besitzt.
Ihnen sagte Jesus: Du bist wichtig, das ganze Himmelreich sucht nach Dir und feiert das Fest, wenn es Dich wieder als Teil von allem sehen kann.
Und so können wir sagen, dass es auch heute noch Sklaven gibt, denn wer diese Identität nicht erkennt, der ist womöglich selber Sklave geworden, eine Unfreie, ein Unfreier.
Frei sind wir eben erst, wenn wir wieder angebunden sind an das Göttliche. Das ist ja gerade das Paradox.
korrgiertes Transskript