In meinem ersten Video dieser zweiteiligen Reihe habe ich über die Ursachen für unsere innere Wunde gesprochen.
Wir sind alle verwundet, das Leben ist so, dass es uns trifft, betrifft und in uns eindringt. Wunde ist ja ein Eindringen, ist physisch betrachtet ein Einschneiden unserer Haut, sodass eine Öffnung entsteht. Von diesen Öffnungen haben wir viele. Aber dabei muss und darf es nicht bleiben. Wir sind nicht auf Erden, um zu leiden, wir sind nicht hier, damit es uns schwerfällt und jeder Tag zu einer Mühe wird. Das kann geschehen, zumindest zeitweise, aber es ist nicht das Ziel unseres Lebens.
Warum sind wir auf Erden?
Es geht auf der anderen Seite auch nicht um oberflächliche Freude, um Happiness, es geht auch nicht um Wellness jeden Tag, um ein Leben mit möglichst viel Bequemlichkeit und Komfort. Auch darum geht es nicht. Manche meinen das, meinen, sie hätten ein Anrecht darauf.
Aber das stimmt nicht.
Wir sind auf Erden, weil wir in die Tiefe und in die Höhe wachsen sollen. Damit wir uns so wandeln und entwickeln, uns so von allem befreien und transparent werden, dass das Göttliche durch uns hindurch strahlen kann. Darum sind wir hier.
Und die Wunde in uns ist kein Hindernis dafür. Ich weiß, man könnte es meinen, und es liegt nahe, wenn man sie gerade deutlich spürt.
Aber die Restwunde, wie ich sie im ersten Video genannt habe, die Wunde nach aller Therapie und Bewusstseinsarbeit, sie ist eine Möglichkeit dazu, wirklich transparent zu werden.
Der Schatz in der Wunde
Es gibt nämlich einen Schatz, der in der Wunde verborgen ist und den wir im Grunde suchen. Nicht die Flucht hilft uns dabei, nicht das Ignorieren und das Verleugnen der Wunde, sondern das Hineingehen, das Annehmen und Durchspüren der Wunde. Ein Durchspüren mit Wohlwollen ist dabei wichtig, mit Wohlwollen und Mitgefühl.
Ja, aus der Wunde kann Mitgefühl erwachsen. Wirkliches Mitgefühl mit anderen geht nicht, wenn man nie verwundet wurde. Wie will man dann mitfühlen, wie will man erahnen, was es heißt, zu leiden und Schmerzen zu ertragen?
Die Frucht der Wunde ist Mitgefühl und dafür braucht es wiederum Mitgefühl mit mir selbst. Wie ich mit mir umgehe, so gehe ich mit anderen um.
Und deshalb beginnt das Engagement für diese Welt, für ein besseres Leben aller Menschen damit, dass ich mir selber das angedeihen lasse, was ich anderen wünsche. Die Wunde ist eine Aufgabe für Dich.
Der Wunde ein Haus bauen
Dafür kann es hilfreich sein, symbolisch gesprochen, der Wunde ein Haus zu bauen, natürlich ein inneres Haus. Die Wunde braucht ein Zuhause, damit sie dazugehört und nicht das innere schwarze Schaf ist. Du kennst sicherlich diese Übung, bei der man sich einen sicheren Ort vorstellt, wo man dann schmerzhafte und bedrohte innere Anteile hineingibt. Das ist eine Möglichkeit. Aber ich meine es hier noch alltäglicher.
Wenn Du Dich einigermaßen sicher fühlst und die Schmerzen Deiner Wunde Dich nicht überwältigen, dann kann die Wunde auch ein Zuhause in Deinem alltäglichen Bewusstsein bekommen. Vielleicht eine Hütte am Rande Deines Alltagsbewusstseins, mit nötigem Abstand, aber immer in Blickweite.
In einer Zeit, in der ich sehr gelitten habe, da habe ich das, was mich bedrohte, immer wenn ich unterwegs war, mit in die Stadt genommen. Ich sah vor meinem inneren Auge diesen Anteil immer mitgehen. Er war immer weit genug entfernt von mir und kam mir nicht zu nahe, aber er war immer da und er sollte da sein. Und so habe ich mich daran gewöhnt, es als einen Teil von mir zu sehen und ihn als Begleiter mit durch mein Leben zu nehmen.
Vielleicht ist das auch eine Möglichkeit für Dich? Die Wunde begleitet Dich den ganzen Tag, auch und gerade wenn sie nicht schmerzt. Aber sie hat einen für Dich gebührenden Abstand, ist so weit entfernt, dass Du sie nicht allzu sehr spürst und doch kannst Du sie immer sehen. Du kannst sie grüßen, ihr zuzwinkern wie auch immer. So entsteht durch Deinen Kontakt eine besondere Beziehung, die in die Alltäglichkeit führt.
Überhaupt ist es die Begegnung, die zur Heilung führt. Immer ist es die Begegnung, auch physisch sind es immer Begegnungen, die heilen.
Und so komme in Kontakt mit Deiner Wunde oder lasse sie in Deiner Beziehung oder Deiner Freundschaft vorkommen. Erzähle davon, dass Du in Dir diese wunde Seite hast. Auch solche Beziehungen können heilen.
Schauen wir weiter, was Du noch tun kannst, um mit Deiner Wunde zu leben.
Die Heilung und die Wunde
Ich glaube ja, dass dort, wo eine Wunde ist, auch immer etwas Heilsames sein muss. Nicht örtlich genau dort, aber wo eine Wunde, da ist auch Heil. So wie Novalis es schreibt: Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch.
Und umformuliert zu unserem Thema: Wo aber eine Wunde ist, da wächst das Heilende auch.
Wir aber sind so fixiert auf die Wunde, so eingenommen, sind so in einer Trance, dass wir kein Auge mehr für das Heilende in uns haben. Wir meinen, wir wären so hilflos und ohnmächtig – aber das ist eine Selbstsuggestion, eine Trance, in die wir uns selbst hineinbegeben.
Glaube Dir nicht!
Glaube, dass das Heilende und das Hilfreiche ebenfalls wachsen und da sind und wenn Du Deine Aufmerksamkeit darauf lenkst und es erforschst, dann wirst Du es entdecken und Du wirst es nähren. Wem Du Deine Aufmerksamkeit schenkst, das wird größer in Dir.
In Kontakt bringen
Und dann bringe beides in Kontakt zueinander, bringe Wunde und das Heilende in die Begegnung miteinander. Es geht nicht darum, sich nur noch in der Heilung aufzuhalten, das wird nicht gelingen und es führt zu Selbstbetrug. Die Kunst ist es, beides in Kontakt zu bringen, beides gleichzeitig zu spüren, und zwar so, dass sich beide inneren Welten wirklich berühren. Oder Du beginnst zu pendeln zwischen dem Spüren des Heilenden und der Wunde und wieder zurück.Dann kann etwas heilen oder sanfter werden.
Und vielleicht kannst Du dann beobachten, wie ein Kennenlernen geschieht, eine Annäherung. Wie sich die Heilung in Dir um Deinen Schmerz kümmert. Aber nicht um sie auszulöschen – kein innerer Anteil will sterben, mit einer solchen Absicht, machst Du es größer und es kommt immer irgendwie zurück. Nein, es geht um Transformation, um Wandel. Das ist der Fehler, den viele machen, sie wollen die Wunde weg haben. Und genau dieser Wunsch sorgt dafür, dass die Wunde sich nie wandeln wird.
Die Wunde gehört dazu
Die Wunde darf also in Dir bleiben, darf und soll Teil Deines Lebens werden und sie darf und soll sich entwickeln, soll sich wandeln. Und der heilende Anteil in Dir, die heilende Kraft, die Dir zuwächst, sie wird Dir dabei helfen.
Das geht nicht von selbst, das ist wirkliche Arbeit. Da reichen nicht mal eine Imagination und ein Räucherstäbchen. Es ist ein Weg, der nicht ohne Rückschläge auskommt. Mache Dir das bewusst, dass Du auch Rückschläge haben wirst, wo alles wie früher zu sein scheint.
Aber vielleicht hilft es dann, diese Rückschläge Ehrenrunden zu nennen, die Dir etwas Wichtiges über Deine Wunde sagen und über die heilende Kraft in Dir, etwas, das zukünftig anders sein sollte oder anders behandelt werden sollte, damit diese Ehrenrunde nicht nochmals gegangen werden muss.
Zugleich sind viele Wunden auch ein sehr sensibles Messinstrument für die Wunden anderer, für Spannungen, die im Raum herrschen, für Menschen, die es nicht gut mit Dir meinen und für vieles mehr. Du kannst Deine Wunde auch nutzen, sie kann ein Gewinn sein, wenn sie Dich nicht beherrscht, sondern wenn Du sie als solchen nutzen kannst. Es ist sehr wichtig, dass Du lernst, dass die Wunde Dich nicht in Besitz nimmt. Das wird in Akutsituationen nicht gleich gelingen, aber möglichst rasch danach. Das ist der erste Schritt zur Befreiung, ohne dabei die Wunde zum Verstummen bringen zu wollen und damit auszuschließen.
Nun aber noch zu einem besonderen Thema, das nicht leicht ist.
Bewusstes Leiden
Ich hoffe, Du hast gemerkt, dass ich nicht jemand bin, der Dir das Leiden empfehlen möchte. Leiden ist immer zu heilen und zu ändern. Aber dennoch gibt es manchmal Situationen, die Leiden mit sich bringen und es gibt Wunden, die nicht richtig schließen und vielleicht auch nie richtig schließen werden – trotz aller Therapie. Wenn diese Situation eintritt, dann kann das bewusste Leiden eine Möglichkeit sein. Das bewusste Leiden ist eine spirituelle Haltung, die völlige Absichtslosigkeit und Reinheit braucht und es ist nichts, worüber man vermutlich beim Kaffeetrinken spricht. Und dennoch kann es ein Weg sein, Dein Leiden als einen Teil des Leidens dieser Welt zu sehen – bewusst, still, ohne einen Hauch von Selbstmitleid, von Selbsterhöhung, Selbstbestrafung, sondern klar und rein.
Ich nehme diesen Schmerz auf mich und trage ihn bewusst in dieser Welt, denn das, was ich absichtslos und bewusst tue, das hat eine Wirkung weit über mich hinaus, das hat eine Wirkung auf das Bewusstsein dieser Welt und gewiss sogar über unsere Welt hinaus.
Um es nochmals zu sagen, das geht nur absichtslos, ohne sich selbst damit besonders zu fühlen, auserkoren, ohne sich zu bemitleiden oder sich zu bestrafen, das sind alles Ego-Motive. Hier geht es um ein viel tieferes Motiv, das aus dem Selbst, aus Deinem Wesen kommt.
Und dann kann sich etwas ganz Tiefes leuchtend zeigen, dann kann eine Wunde zu einer kosmischen Verbundenheit führen, weil Du Anteil nimmst am Leiden dieser Welt - aber nicht mehr in Ärger, Wut und im Grunde auch nicht mehr durch Leiden, sondern allein durch Schmerz und ja, dann auch durch eine ganz besondere Form der Freude, die nichts mit den Freuden dieser Welt gemein hat.
Mich interessiert es sehr zu erfahren, was Dir bei Deiner Wunde hilft. Hinterlass einen Kommentar dazu, auf den ich gerne reagiere.
korrgiertes Tramsskript