Text aus meinem wöchentlichen YouLetter

14. Dezember 2024

Wenn du nach Sicherheit im spirituellen Leben suchst, nach jemandem, der dir den genau richtigen und einzigen Weg zeigt, wenn du jemanden brauchst, den du anhimmeln, verehren und auf ein Podest stellen kannst, wenn du klare Sätze benötigst und wissen willst, was falsch und was richtig ist, wenn du jemanden suchst, der alles schon erlebt hat, keine Schwächen mehr hat und keine Herausforderungen im Leben, dann bist du auf einem gefährlichen Weg (und zudem bei mir nicht richtig).

Ich schaue mir regelmäßig bei YouTube an, was andere Youtuber mit gleichem Oberthema sagen und welche Inhalte auch für mich wichtig sein könnten. Und ich will es mal ganz ehrlich sagen: Mich schaudert es oft, mit welcher Absolutheit manches betont wird und wie sehr Zuschauerinnen und Zuschauer Menschen folgen, die ihnen den klaren Weg zeigen wollen, der keine Alternative kennt.

Ja, das klingt verlockend: endlich angekommen, keine Fragen mehr, keine Suche mehr, jetzt ist alles klar, du liegst goldrichtig.

So aber verstehe ich Spiritualität gar nicht. Spiritualität ist nicht die Kunst des Findens, sondern die Kunst des Suchens. Diese Kunst zu lernen, darum geht es. Dazu gehören „Techniken“ wie Meditation, Gebet oder kleine Rituale. Es gehören Haltungen dazu und auch ein gewisses Maß an Wissen. Es gehört nicht dazu, jeden Teil des Weges schon zu kennen. Und vor allem gehört keine Abhängigkeit gegenüber einem Meister, einer Meisterin, einem Guru oder wem auch immer dazu. Und auch das gehört nicht dazu: Andere in den Rang der Göttlichkeit zu erheben.

Das Wichtigste für mich auf meinem Weg ist, die innere Offenheit zu bewahren. Das Wichtigste sind die Fragen, nicht die Antworten. Mit einer Antwort endet die Suche und damit die Entwicklung. Es sind immer Fragen, die uns weiterbringen.

Unser Weg ist eine Reise, ein Prozess. Und wir wissen noch nicht, wo wir ankommen werden und wann die Reise endet. Diese Reise ähnelt eher einem Abenteuerurlaub als einer Pauschalreise. Ja, schnelle und klare Antworten sind oft bequemer und leichter. Aber sie bringen dich meistens weg von dir. Nicht mehr deine Suche steht im Mittelpunkt, sondern eine Methode oder eine Lehre.

Ich habe mich schon immer gefragt, warum manche sich von ihrem Zen-Meister so behandeln lassen. Es gibt ja viele Erzählungen dazu. Auch wenn der Meister es nie böse meint, will ich doch die Energie der Härte und Unerbittlichkeit nicht in meinem Umfeld und auch nicht in meinem Leben.

Stattdessen möchte ich eine Offenheit und weiche Formen, die mit mir gehen und sich mir anpassen. Ich will einen Weg gehen, bei dem auch Umwege erlaubt sind, die oft sogar eher zum Ziel führen. Ich brauche keine Heiligen, die mich anleiten. Ich brauche Menschen, die selbst gehen und suchen und gerne auch mal fallen.

Spiritualität befreit nicht vom Leben, sondern zum Leben. Und deshalb ist eine Spiritualität immer voll von allen Arten von Leben.
Auch ich bin nicht perfekt; auch ich habe Herausforderungen, bange Zeiten im Leben, Ängste und Sorgen. Das ist der Stoff, aus dem das Leben gemacht wird, neben Freude, Glück und Erfüllung. Es geht selten darum, was ich erlebe, sondern fast immer darum, wie ich es erlebe und was ich damit mache.

Und genau für diese Art Spiritualität stehe ich.

Vorherige Briefe für dich:

  • Das ist so gut erklärt: Spiritualität – eine Suche – eigenes Finden z.B. durch Beispiele wie : Meditation, Gebet, ich liebe auch die Rituale.

  • Danke für diese starken und wahren Worte! Für Viele Menschen, vermutlich in Zeiten extremer Bedrängnis sogar für jeden, ist das Verlangen nach absoluter Klarheit und Gewissheit eine große Versuchung. Der Wunsch nach klarer Führung kann dann derart umfassend werden, dass aufstrebende Diktatoren leichtes Spiel haben, um politischen wie im spirituellen Sinne.

  • Willigis Jäger sah ich ab und zu nachdenklich „Gott dcheint auch eine dunkle Seite zu haben“ oder „Wir können es nicht wissen“.
    Er warnte auch oft vor „Meister-Abhängigkeit“ mit den Worten „Woran erkennt man einen guten Meister?
    Nicht daran, das er viele Schüler hat sondern daran, das er gute Meister hervorbringt“

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